Haisl, Buden, Bauwagen: Selbstgeschaffene Orte Jugendlicher auf dem Land am Beispiel der Oberpfalz

Ob in Neualbenreuth oder Beratzhausen, in Alteglofsheim, Gleiritsch oder Iffelnsdorf, in fast jeder Gemeinde der Oberpfalz findet man einen „Bauwong“, eine „Bude“ oder ein „Haisl“. Viele Jugendliche haben sich dort den Wunsch nach einem Freiraum ohne Erwachse verwirklicht. Die selbst gebauten Treffs stehen in unzähligen Dörfern und Gemeinden. Man findet sie an allen nur vorstellbaren Orten: in Kartoffelkellern, Scheunen, ausgemusterten Hühnerställen, Containern, Hütten oder Bauwägen – oft versteckt, weit ab vom Schuss und abseits der Ortskerne.

Für Jugendliche und junge Erwachsene bieten sie einen Raum, den sie selbst nach ihren Vorlieben gestalten. Die Tatsache, dass sie sich dort unabhängig von Erwachsenen und ohne deren Aufsicht aufhalten können, macht die Haisl zu einem beliebten Feierabendtreffpunkt. Biertrinken, Rauchen, Karten spielen, Ratschen, Feste feiern und auch der Konflikt mit Polizei und Ordnungsämtern gehören fest dazu. Immer wieder sind sie dabei Stein des Anstoßes für Konflikte mit den örtlichen Behörden. Sie gelten als gesetzeslose Räume jugendlicher Saufgelage und Lärmbelästigungen1 und sie sind der Grund für Diskussionen rund um Jugendschutz und die Legitimität jugendlicher Freiräume.2 Aber die Haisl zeugen auch von der Sozialisierung junger Menschen und dem Wunsch nach Nonkonformität, einem gruppenspezifischen Selbstverständnis und dem Gefühl von Selbstwirksamkeit. Die Haisl sind Orte des sozialen Zusammenkommens. Sie fungieren als Räume der individuellen Entfaltung und als Orte kollektiver Identitäten der Haislgruppe.

Auf den ersten Blick scheinen die Haisl dabei omnipräsent. Auf der Suche nach diesen Orten in der Oberpfalz konnten insgesammt 217 Haisl allein durch deren eigene Social Media Auftritte ausgemacht werden. Dabei ließen sich schnell ganz vielfältige und in ihrem Erscheinungsbild sehr unterschiedliche Bauten ausfindig machen. Das flächendeckende Vorkommen der Treffpunkte zeigt die besondere Relevanz der Orte im Alltag junger Menschen auf dem Land. In ihrem so heterogenen Erscheinungsbild lassen sich vielschichtige Bedeutungsebenen und der Ausdruck diverser Lebensstile vermuten.

Doch wer geht eigentlich ins Haisl? Welche Motive liegen dem Aufbau eines Haisls zugrunde und wie werden die Bauten gestaltet? Welche Akteure sind beteiligt und wie äußern sich diese über ihr Engagement an einem solchen Ort? Im Zuge einer Masterarbeit im Fach der Vergleichenden Kulturwissenschaft konnte so mit 19 aktiven Haislmitgliedern aus zehn verschiedenen Treffpunkten in der Oberpfalz gesprochen werden, um diese Orte anhand ihrer Gestaltung, Zusammensetzung und öffentlichen Wahrnehmung zu analysieren.

Was ist ein Haisl?

Die Analyse der Forschungsgespräche hatte vor allem eine Erkenntnis: Das Haisl als gleichförmige, also in ihrer Materialität und den dort vollzogenen Praktiken übereinstimmenden Orten lässt sich nicht beschreiben. Vielmehr zeichnet sich das erforschte Phänomen gerade durch seine große Heterogenität in der Zusammensetzung und Gestaltung aus. In nahezu allen Parametern der Befragung zeigten sich dabei gravierende Unterschiede – egal ob in der Altersstruktur der Mitglieder, der Bauweise der Gebäude oder in den Beziehungen zur Öffentlichkeit. Jede Haislgruppe bringt ihren einen Raum, ihr eigenes Haisl durch verschiedene Praktiken hervor. Und doch lassen sich an vielen Stellen größere und kleinere Schnittmengen zwischen den unterschiedlichen Treffpunkten erkennen, die an dieser Stelle zusammengefasst werden sollen.

Das Haisl – Ein gemeinschaftliches Projekt junger Menschen

Zunächst zeigten sich einige Gemeinsamkeiten bei den befragten Haislgruppen. Diese sind grundlegend und bedingend für die Existenz und das Bestehen der Haisl. Beginnend mit der Altersstruktur wurde deutlich, dass alle Haisl in der frühen Jugendphase3 der Beteiligten entstehen. In der Regel sind die Mitwirkenden dabei zwischen elf und 15 Jahren alt und bereits seit einigen Jahren miteinander befreundet. Viele kennen sich seit der Grundschule oder sogar seit dem Kindergarten. Mit dem Beginn der Pubertät, spätestens jedoch im Alter von ca. 18 Jahren beginnen die Jugendlichen ihren Treffpunkt zu errichten.

Es wird deutlich, dass die Akteur*innen des Haisls einen spezifischen Weg gefunden haben in dieser Entwicklungsphase im Übergang von der Kindheit zur Jugend und einem damit einhergehenden Ablösen von den Eltern auch räumlich zu manifestieren. Gerade das Bedürfnis, die eigene Freizeit immer weiter selbst zu gestalten, unbeobachtet von den Erwachsenen neue Rollen zu erproben und selbstständig neue Erfahrungen zu machen4, erfüllen sich die Befragten, indem sie sich einen eigenen und selbstbestimmten Raum schaffen, der außerhalb der direkten Aufsicht der eigenen Eltern liegt. Das Haisl gibt den Jugendlichen dabei die Möglichkeit, die größer werdenden Freiheiten räumlich abgegrenzt zu erleben. Sie schaffen sich ihren eigenen Raum, der es ihnen ermöglicht, neue Lebensausschnitte kennenzulernen und die Grenzen des Erlaubten auszutesten und auch zu überschreiten. Manche Gruppen unterhalten ihre Treffpunkte jedoch weit bis ins Erwachsenenalter hinein und besuchen auch nach 25 Jahren noch regelmäßig ihren Treffpunkt.

Das Haisl als selbstgeschaffener Ort

Das zweite Grundelement, das allen Haisln inhärent ist, liegt in der Besonderheit, dass diese Orte von den Jugendlichen stets selbst aufgebaut werden. Alle Gruppen nehmen immer wieder verschiedene Aus- oder Umbaumaßnahmen vor und gestalten ihre Treffpunkte so nach ihren ganz individuellen gruppenspezifischen Bedürfnissen. Um diese zu verwirklichen, unternehmen die Jugendlichen in der Regel große bauliche Anstrengungen. Bezugsfertige Hais, welche bereits für die Nutzung als Freizeitraum genutzt werden können, gibt es nicht zu kaufen. Vielmehr starten alle Gruppen mit einer Grundstruktur, deren eigentlicher Nutzen ein anderer ist und gestalten daraus ein Haisl nach ihren Bedürfnissen. Bei der Beschaffung von Baumaterialien wenden die Akteur*innen dabei verschiedenste Praktiken an und zeigen häufig große Kreativität. Meist versuchen die Jugendlichen zunächst alles Verfügbare in ihrem Umfeld zu nutzen. Sowohl Baumaterialien als auch diverse Einrichtungsgegenstände beziehen sie vor allem aus dem Überschuss, der aus ihrer greifbaren Umgebung herangezogen werden kann. Alte Gebäude werden abgetragen, um das Bauholz weiterzuverwenden, sie nutzen Kleinanzeigenportale im Internet, um kostenfrei an Möbel zu kommen oder sie verwenden Dinge und Rohstoffe, die im (landwirtschaftlichen) Betrieb der Eltern, Nachbarn oder Bekannten anfallen.

Im Aufbau der Haisl nutzen die Akteur*innen aller Gruppen grundlegend Wertschöpfungsstrategien innerhalb ihres physischen Nahraumes. Neben der Kostenreduktion sind es dabei vor allem Gefühle der Zugehörigkeit und Identifikation mit einer lokalen sozialen Bezugsgruppe, welche die Haislbauer*innen motiviert, ihre Haisl unter Bezugnahme des direkten Umfelds aufzubauen. Die Gruppen profitieren dabei von günstigen Ressourcen, der Vermittlung von Wissen über Baupraktiken sowie einer gesteigerten Akzeptanz ihrer selbst geschaffenen Räume durch kollektives lokales Handeln.

Der praxeologische Blickwinkel der Masterarbeit konnte dabei zeigen, welche Strategien und Netzwerke die Jugendlichen nutzen, um ihre Treffpunkte entstehen zu lassen und damit einen spezifischen alltäglichen Ausschnitt der Lebenswelten Jugendlicher in ländlichen Räumen offenlegen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass die Akteur*innen im Kontext ihrer Treffpunkte eine große Bereitschaft mitbringen, ihr Repertoire an verfügbaren, also routinisert anwendbaren Praktiken und Wissensständen im Aufbau ihres Haisls ständig zu erweitern. Gerade da sich die Akteur*innen während der Bauarbeiten an den Treffpunkten häufig auf veränderte Umstände einlassen müssen, „für deren Behandlung die routinisierten Verstehensmuster, […] keine oder keine eindeutigen ‚tools‘ an die Hand geben“5, bietet der Auf- oder Umbau eines Haisls eine Vielzahl von Lernerfahrungen, welche sich die Beteiligten durch das eigenständige Arbeiten am Haisl aneignen.

Nachdem die Haisl errichtet sind, hören die Mitwirkenden nicht auf, ihre Orte immer weiter zu bearbeiten. Ganz im Gegenteil scheinen die Hütten und Bauwagen nie ganz fertig und der Prozess des Gestaltens nie wirklich abgeschlossen zu sein. Die Mitglieder stoßen immer weitere An- und Umbaumaßnahmen an und gestalten die Treffpunkte darüber hinaus auch dekorativ, um die Bauten immer weiter zu verschönern oder an die Vorstellungen der Mitglieder anzupassen. Die Jugendlichen bauen Einrichtungsgegenstände, verlegen Strom, besorgen sich Kühlschränke, bauen Bars und Tresen und statten die Orte mit allerlei Technik aus, um verschiedene Bedürfnisse zu befriedigen, die mit den jeweiligen Nutztungsinteressen zusammenhängen. Hier unterscheiden sich die unterschiedlichen Einrichtungen teils gravierend von einander. Je nachdem, ob das Haisl als Partylocation oder als abgeschiedener Rückzugsort genutzt werden soll, werden auch Musik- und Lichtanlagen verbaut oder eben gemütliche Sitzecken und Matratzenlager geschaffen. Die funktionale Ausgestaltung richtet sich dabei stets nach den aktuellen Bedürfnissen der Gruppe und verhält sich dynamisch. Ändern sich die Ansprüche, die eine bestimmte Haislgruppe an ihren Ort richtet, so verändert sich auch der Ort selbst. Häufig werden Treffpunkte dabei gänzlich neu gestaltet, wenn eine neue Gruppe beziehungsweise die nächste Generation von Jugendlichen bereits bestehende Bauten übernimmt.

Vor allem durch Dekorationselemente bringen die Mitglieder dabei häufig einen bestimmten Lebensstil oder das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Subkultur symbolisch zum Ausdruck. Die Akteur*innen statten ihre Haisl beispielsweise mit Bannern oder Stickern verschiedener Bands, den Logos verschiedener Brauereien oder Spirituosenherstellern, politischen Slogans in Form von Stickern oder verschiedenen Symbolen von Regionalität (z.B. Bayernfahnen) aus. Die Dekorationen im Haisl stehen symbolhaft für spezifische soziale „Identitäten, Positionen und Geschmacksmuster“6 und deuten dabei auf Selbstbilder, Imaginationen und Distinktionen jeder spezifischen Haislgruppe.

Die besondere Struktur der Gruppen, das gemeinschaftliche Praktizieren jugendlicher Interessen, der eigenständige Auf- und Umbau der Treffpunkte und das Einrichten nach ganz individuellen Vorlieben, all das vermittelt den Akteur*innen im Haisl ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Vor allem die aktive Auseinandersetzung mit den Objekten, die sie umgeben, und das Handanlegen, also die Bearbeitung des Haisls selbst, lässt die Mitglieder die eigene Selbstwirksamkeit besonders stark erfahren und somit in einem starken Resonanzverhältnis stehen7. Das Haisl zeigt sich für die Jugendlichen dabei als Ort des Abenteuers und der Freiheit, ein Möglichkeitsraum der gemeinsamen Sozialisierung8, gelebter Selbstwirksamkeitserfahrungen und ein Ort, der für die befragten Jugendlichen ein Teil ihrer eigenen Identität geworden ist.

Aktivitäten im und um das Haisl

Betrachtet man nun die Aktivitäten, die sich im Haisl vollziehen, lassen sich ebenfalls einige Gemeinsamkeiten erkennen. Genau wie in der Ausgestaltung der Räumlichkeiten sind diese stets abhängig von den jeweiligen Bedürfnissen und Erwartungen der Akteur*innen an der Raum. Für alle Befragten stellt das Haisl dabei zunächst einen Rückzugsort dar, an welchem man zusammen mit Freunden und außerhalb der Aufsicht von Erwachsenen Zeit verbringen kann. Hier treffen sich die Mitglieder zum Bier trinken, Karten spielen, Shisha rauchen, Musik hören, Spiele spielen und tauschen sich über ihren Alltag aus. Diese Zusammentreffen im Haisl sind dabei in der Regel anlasslos und haben einen spontanen Charakter. Im Haisl der meisten Gewährspersonen gibt es keinen festen Tag in der Woche, an welchem sich dort getroffen wird. Vielmehr verabreden sie sich über die interne Chatgruppe oder sie schauen einfach im Haisl vorbei, ob noch jemand gerade dort ist. Das Haisl zeigt sich dabei als einer der hauptsächlichen Freizeit- und Treffpunkte der Gruppe. Oft wird dieser direkt nach der Schule und am Wochenende angesteuert. Vor Ort wird dann diskutiert, ob beziehungsweise welche Unternehmung gestartet werden soll oder ob man einfach nur zusammensitzt. Darüber hinaus verbringen die Mitglieder auch immer wieder Zeit alleine im Haisl. Gerade in Fällen von Streit mit den Eltern oder wenn sie aus anderen Gründen Abstand von zu Hause brauchen, können die Befragten hier einen ungestörten Rückzugsort finden.

Wer hat Zugang zum Haisl?

Hier zeigt sich eine bedeutende und grundlegende Eigenschaft aller untersuchten Haisl. Die Haisl stehen prinzipiell nur einem geschlossenen Kreis aus festen Mitgliedern offen, die auch darüber entscheiden, wer Zutritt zu den Treffpunkten erhält. Diese bringen zwar immer wieder einzelne Personen aus dem erweiterten Freundeskreis mit, Fremden bleibt der Zugang ohne einen solchen Kontakt jedoch grundlegend verwehrt. Außerdem erhalten auch Erwachsene (Eltern, Anwohner*innen usw.) im Haislalltag keinen Zutritt. Die Akteur*innen erschaffen diese Orte ganz gezielt mit dem Motiv, über einen eigenen jugendlichen Möglichkeits- und Freiraum für sich und ihre Gruppe zu verfügen. Auffällig ist dabei, dass die starke Abgrenzung und Verschlossenheit nach außen mit einer als besonders stark wahrgenommenen und immer wieder betonten Gemeinschaft im Inneren der Gruppe einhergeht. Ähnlich wie auch andere Gruppen Jugendlicher (ohne Haisl) grenzen sich die Haislgruppen gewissermaßen in ihrer Subkultur ab. Dabei sind es jedoch nicht vor allem popkulturelle Stilfragen, die über die Zugehörigkeit zur Haislszene entscheiden, sondern die Zugehörigkeit zu einer spezifischen (Freundes)Gruppe über einen langen Zeitraum.

Auf der anderen Seite sind die Haisl aber keinesfalls gänzlich nach außen abgeschlossen. Vielmehr öffnen die Gruppen immer wieder zu bestimmten Anlässen ihren Treffpunkt auch für Außenstehende. Sie veranstalten Partys, feiern Geburtstage oder laden andere (Haisl)Gruppen zu sich ein. Dabei ist in der Regel immer ein erweiterter Kreis an Jugendlichen vor Ort. Hier zeigt sich wiederum, dass sich das Haisl wie die Gruppe selbst nicht vollständig nach außen hin verschließt. Genau wie in anderen jugendlichen Peergruppen-Kontexten weitet sich der Einzugsbereich auch im Haisl gelegentlich auf einen deutlich größeren Kreis als den der eigenen Kerngruppe aus. Dieses Öffnen der Orte gibt den Haislbauer*innen die Möglichkeit, ihren Treffpunkt nach außen repräsentativ vorzuführen.

Beziehungen der Haisl zur Öffentlichkeit

Genau hier wird eine weitere grundlegende Eigenschaft der Haisl ersichtlich. Diese Orte werden zwar von einer im Alltag weitestgehend geschlossenen Gruppe erdacht, gebaut, ausgestattet und betrieben. Die individuellen Akteur*innen agieren jedoch integriert im Gesellschaftskontext ihrer direkten Umgebung. Viele Haislmitglieder engagieren sich über die Mitgliedschaft in einem Haisl auch in weiteren institutionalisierten Einrichtungen vor Ort. Die Befragten sind beispielsweise aktiv in der Freiwilligen Feuerwehr, dem Burschenverein oder der Katholischen Landjugendbewegung oder sie sind im örtlichen Sportverein.

Dieses eingebunden sein in lokale Strukturen und die Tatsache, dass grenzüberschreitende Verhalten im Haisl in der Öffentlichkeit durchaus bemerkt und sanktioniert werden, veranlasst einige Haisl dazu, ihre Orte gelegentlich auch der Öffentlichkeit des Dorfes zu präsentieren. Dazu veranstalten sie teils große Feste, zu welchen auch Bürgermeister*innen und die Erwachsenen der „Dorföffentlichkeit“ eingeladen werden. Manche knüpfen öffentliche Veranstaltungen auch an verschiedene jahreszeitliche Bräuche und stellen Maibäume auf oder brennen Johannisfeuer ab. Zu diesen Veranstaltungen ist stets eine breite Öffentlichkeit eingeladen und viele (erwachsene) Personen aus der Umgebung nutzen diese, um einen Einblick ins Haisl zu bekommen.

Für die Mitglieder der Haislgruppen stellen sie einen Versuch dar, das Haisl in die bestehenden Strukturen der (Dorf-)Gemeinschaft einzugliedern, indem sie den gemeinschaftsstiftenden Zweck dieser Bräuche nutzen, um ihr Haisl als zugehörig zu dieser Gemeinschaft darzustellen. Die Entscheidung, einzelne Traditionen – wenn auch eventuell nur auf äußerliche Merkmale beschränkt – weiterzuführen, kann dabei als Bekenntnis verstanden werden, sich mit dem Haisl in die Traditionen und Bräuche der umgebenden Gesellschaft einzugliedern. Mit dem bewussten Herzeigen des Haisls als Ort verantwortungsbewussten Handelns sowie dem Durchführen traditioneller Feste verfolgen die Akteur*innen die Strategie, das Haisl in der Wahrnehmung Außenstehender positiver wirken zu lassen.

Das Haisl als Ergebnis räumlich spezifischer Praktiken

Den Alltag im Haisl, welchen die Akteur*innen dort durch routiniesiert vollzogene Praktiken stetig hervorbringen, charakterisiert sich gerade zwischen diesen beiden Sphären der Exklusivität und Abgeschlossenheit nach außen und gleichzeitig dem Integriertsein sowie der Identifikation mit der Gesellschaft der eigenen räumlichen Umgebung. Gerade im teils geheimen und versteckten Agieren und dem Wahren der Geheimnisse über die Vorgänge im Haisl einerseits sowie dem Engagement der Mitglieder in verschiedenen Vereinen wie auch den meist sehr guten Verhältnissen der Gruppen zu Anwohner*innen, Eltern und Kommunalverwaltungen anderseits zeigt sich die Besonderheit des Phänomens. In vielerlei Hinsicht bewegen sich die Haisl dabei in einem gewissen Zustand des Dazwischen.

Gerade als Jugendliche sehen sie sich in einer Phase zwischen den Zuständen der Kindheit in der Familie und dem Status der Erwachsenen in der Gesellschaft beziehungsweise der Öffentlichkeit des Dorfes. Die Haisl fungieren dabei als Möglichkeitsräume, die den Gruppenmitgliedern einerseits Freiheiten und das Ausreizen der Grenzen gesellschaftlich akzeptierter Verhaltensweisen erlauben. Auf der anderen Seite befinden sich die Akteur*innen auch weiterhin im Einflussbereich der Eltern und Erwachsenen der Öffentlichkeit, welche die alltäglichen Praktiken im Haisl stets kritisch begleiten und gegebenenfalls bestimmte, als grenzüberschreitend wahrgenommene Handlungen sanktionieren. Das Haisl zeigt sich dabei als Raum, der zunächst nur geringfügig den Regeln der Erwachsenenwelt unterliegt. Vielmehr organisieren sich die Gruppen selbst und legen fest, welche Verhaltensweisen in ihren Räumen akzeptiert sind und welche Personen Zugang zu diesen erhalten.

Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass alle befragten Haisl stets die besondere Geschlossenheit und einen besonders starken Zusammenhalt in der Gruppe wahrnehmen, der sich durch die selbstwirksame Gestaltung der eigenen Bauten entsteht. Die meisten der Befragten identifizieren sich aber auch stark mit dem Ort, in welchem sich das Haisl befindet. Dabei nehmen sie sich sowohl individuell als auch kollektiv keinesfalls als randständig und abgeschottet war, sondern sie begreifen sich als gut integriert in die öffentlichen Institutionen des Ortes. Vielmehr als sich mit dem Errichten eines Haisl einen Fluchtpunkt aus der Gemeinschaft zu schaffen, sehen sie diese als zusätzliche Räume, die es ihnen ermöglichen, zeitweise unter sich, also nur unter gleichaltrigen Freund*innen zu sein.

Zuletzt befinden sich die Haisl in ihren Beziehungen zur Öffentlichkeit in einem andauernden Verhältnis zwischen Akzeptanz und Ablehnung. Manche Gruppen sehen sich dabei als Institutionen im Ort, die über ein sehr gutes Verhältnis zur Öffentlichkeit verfügen und in der Breite akzeptiert werden. Andere wiederum wissen, dass sie höchstens geduldet sind und verhalten sich stets unter der Prämisse, dass ihre Treffpunkte auch durch geringfügige Fehlverhalten die Akzeptanz in der Öffentlichkeit verlieren und somit verboten werden könnten.

Betrachtet man die gesamte Bandbreite der erforschten Hütten, Haisl, Bauwagen und Container, so ist dieses Phänomen geprägt durch vielschichtige, teils widersprüchliche Praktiken, Wahrnehmungen und Bedeutungen für unterschiedliche Akteur*innen innerhalb und außerhalb der Treffpunkte. Keine der beschriebenen Eigenheiten der Haisl trifft dabei auf wirklich alle Einzelfälle zu. Vielmehr existieren die verschiedensten Ausprägungen gleichzeitig nebeneinander. Von sehr kleinen Haisln mit nur einer Handvoll Mitgliedern, die sich nach außen sehr geschlossen verhalten bis hin zu großen Haisln, die seit Jahrzehnten existieren und fest integriert in den dörflichen Lebenswelten der Jugendlichen und Erwachsenen agieren, lassen sich enorme Unterschiede feststellen. Darüber hinaus gestalten sich die Haisl auch in ihrer Materialität äußerst divers. Kein Haisl ist wie das andere. Ihre Struktur und bauliche Gestaltung ist stets auf die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppe zugeschnitten und nach den geschmacklichen Vorlieben dieser gestaltet. Jede spezifische Gruppe bringt so ihr individuellen Haisl hervor.

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1 Braun, Richard: Das „Trausner Haisl“ steht vor dem Abbruch. Online auf: onetz.de (https://www.onetz.de/oberpfalz/trausnitz/traunser-haisl-steht-abbruch-id3397562.html, besucht am 22.09.23).

2 Peterhans, Friedrich: Bauwagen im Kreuzfeuer. Online auf: onetz.de (https://www.onetz.de/parkstein/lokales/bauwagen-im-kreuzfeuer-d967965.html, besucht am 22.09.23).

3 Vgl. Quenzel, Gudrun/Hurrelmann, Klaus: Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. 14., überarbeitete Auflage, Weinheim und Basel 2022. S. 44.

4 Vgl. Herlyn, Ulfert [u.a.]: Jugendliche in öffentlichen Räumen der Stadt. Chancen und Restriktionen der Raumaneignung.Ludwigsburg 2003. S. 218.

5 Ebd. S. 295.

6 Ege, Moritz/Elster, Christian: „You got good taste“. Geschmack in der kulturwissenschaftlichen Forschung über Popmusik – Positionen und offene Fragen. In: Maase, Kaspar [u.a.]: Macher – Medien – Publika. Beiträge der Europäischen Ethnologie zu Geschmack und Vergnügen. Würzburg 2014. S. 26.

7 Vgl. Rosa, Hartmut: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin 2016. S. 395.

8 Vgl. Buri, Stefan: Buden. Jugendkultur in Oberschwaben. In: Dathe, Stefanie, Museum Villa Rot (Hg.): Buden. Biberach 2010. S. 57f.

Max Kawasch M.A.

Maximilian Kawasch M.A. studierte Vergleichende Kulturwissenschaft und Medienwissenschaft an der Universität regensburg. 2023 schloss er sein Masterstudium erfolgreich ab. Im Fokus seiner wissenschaftlichen Arbeit stehen Themen der Jugendkulturen in ländlichen Räumen, lokalen Identitäten sowie denAushandlungsprozessen von Akteuren im Kontext historischer und gegenwärtiger Wandlungsprozesse.