Erzählcafé: Vom Ostereierbemalen und Beichtzettelsammeln

Sich bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen treffen, „ratschen“ und Erfahrungen austauschen – das stand beim ersten Erzählcafé des Projekts hand.gemacht mit dem thematischen Schwerpunkt „Ostern“ im Zentrum. Kurzerhand wurde das Büro in ein Café verwandelt, der Tisch mit bunten Servietten und einem mit Ostereiern behängten Strauß aus Korkenzieherhasel und Forsythie geschmückt. In gemütlicher Atmosphäre fanden sich einige Gäste und das Projektteam zu einem kleinen Kaffeeklatsch im Erzählcafé ein.

Erzählen von anderen Zeiten…

Für das Oster-Erzählcafé wurde das Büro im Freilandmuseum Oberpfalz u. a. mit einem Osterstrauß dekoriert. An der Wand hingen Schlagworte, die zum Erzählen anregten.
Für das Oster-Erzählcafé wurde das Büro im Freilandmuseum Oberpfalz u. a. mit einem Osterstrauß dekoriert. An der Wand hingen Schlagworte, die zum Erzählen anregten. Foto: Michaela Stauber

Nach anfänglicher Skepsis vonseiten der Gäste darüber, ob man überhaupt recht viel zu Osterbräuchen beitragen könne, sprudeln die Erzählungen bald darauf nur so aus ihnen heraus. Es wird bekannt, dass auch die teilnehmenden Seniorinnen in ihrer Kindheit bereits an den Osterhasen glaubten – erst recht, als man Ostereier dort im Klee erblickte, wo man kurz zuvor einen Hasen hatte hoppeln sehen!

Anders als heute war das Osternest in den Nachkriegsjahren nicht mit Schokolade, anderen Naschereien und hochpreisigem Spielzeug bestückt. Nein, Ostereier waren es, die man nach erfolgreicher Suche dann verzehren konnte. Zum Färben verwendete man beispielsweise Zwiebelschalen, rote Bete oder Spinat – Naturmaterialien eben.

Fast schon ungläubiges Grinsen entlocken die sich anschließenden Erzählungen über die „Kaffeespezialitäten“ der 1940er, 1950er und noch 1960er Jahre dem doch etwas jüngeren Projektteam. Ostern war einer der wenigen Anlässe im Jahr, zu denen Bohnenkaffee gekauft wurde. Der ansonsten übliche Zichorienkaffee, der zum Teil vier bis fünf Filterdurchgänge durchlief, sorgte einst bei den US-amerikanischen Soldaten für Verwirrung, die aufgrund des nahegelegenen Truppenübungsplatzes gelegentlich zum Kaffee bei einer der anwesenden Seniorinnen einkehrten. „Is this coffee?“, lautete die etwas misstrauische Frage der GIs.

Deutlich wird, dass die kirchlichen Bräuche und der Gottesdienstbesuch in vergangenen Jahrzehnten einen weitaus höheren Stellenwert einnahmen, was die Ostertage betrifft. Beichten war in der österlichen Zeit Pflicht. Um die Beichte zu belegen, schob der Pfarrer Bilder mit christlichen Motiven durch einen Schlitz im Beichtstuhl, welche von den Gläubigen mitgenommen wurden. Diese Dokumente begutachtete der Pfarrer bei einem Besuch in jedem Haushalt des Ortes und kontrollierte auf diese Weise den Gang zur Osterbeichte. Zu den Beichtzetteln legte die jeweilige Hausfrau ein Ei pro Person des Hausstandes als Gabe für den Geistlichen. Doch bisweilen trog der Schein: Mancher Gläubige schickte – gegen eine kleine finanzielle Entschädigung – jemand anderes zur Beichte, vorzugsweise Schüler, und ließ sich so den Beleg besorgen. Es soll Kinder gegeben haben, für die sich das Beichtengehen so zu einem lukrativen Nebengeschäft entwickelte…

Ein aus Birkenzweigen geflochtener Hase dient als Osterdekoration.
Eine der Teilnehmerinnen brachte diesen aus Birkenzweigen geflochtenen Hasen mit. Foto: Luca Hajek

… und neueren Bräuchen

Die Gäste des Erzählcafés berichten außerdem vom Osterbrunnen, den der örtliche Frauentreff im Jahr 2004 erstmals gestaltete. 900 bis 1000 Ostereier bemalten die Dorffrauen dafür per Hand. „Das war eine richtige Sucht“, denkt eine der Bastlerinnen an diese Aktion zurück. Wahre Kunstwerke entstanden dabei. Mittlerweile finden sich aber nicht mehr genug Freiwillige, um den Brunnen zu schmücken.

Handbemalte Eier zieren schließlich auch den mitgebrachten Osterhasen aus Birkenzweigen, den eine der Teilnehmerinnen selbstgemacht hatte. Alljährlich wird er als Osterdeko vor dem Haus ausfgestellt. „Dass man früher recht viel für Ostern dekoriert hat, daran könnte ich mich nicht erinnern“, zieht die Seniorin den Vergleich zu vergangenen Zeiten.

Museum – ein Ort der Kommunikation und Partizipation

Es ließen sich noch weitere Seiten mit den Schilderungen der Gäste füllen, denn das Erzählcafé erwies sich als guter Rahmen für einen angeregten Dialog. Dass Museen – und insbesondere solche Einrichtungen, die sich schwerpunktmäßig mit der Lokal- und Regionalgeschichte der jüngeren Vergangenheit befassen – Orte der Kommunikation sein können und sollen, wird im museumswissenschaftlichen Diskurs vielfach thematisiert. Den Institutionen wird dabei durchaus eine soziale Funktion zugeschrieben.[1] Mitunter ist ein Museumsbesuch überhaupt erst dadurch motiviert, sich mit anderen zu treffen und gemeinsam etwas zu unternehmen.[2] Die Besucherinnen und Besucher zu Wort kommen zu lassen und deren individuelle Erfahrungen und subjektive Eindrücke zu dokumentieren, kann nicht zuletzt eine Form der Partizipation darstellen.[3]

In einer gemütlichen Runde unterhielt man sich beim Erzählcafé über vergangene und gegenwärtige Osterbräuche.
In einer gemütlichen Runde unterhielt man sich beim Erzählcafé über vergangene und gegenwärtige Osterbräuche. Foto: Luca Hajek

Output des Erzählcafés

Die kommunizierten Erfahrungen der Erzählcafé-Teilnehmerinnen wurden nach der etwa 90-minütigen Gesprächsrunde stichwortartig notiert und anschließend in einem Protokoll dokumentiert, sodass sie künftig als Zeitzeugeninformationen zur Verfügung stehen. Damit wurde im Zuge der Veranstaltung auch der musealen Aufgabe der Forschung zu materieller wie auch immaterieller Kultur[4] nachgekommen. Ein Erzählcafé kann Wissen generieren und einen Erkenntnisgewinn ermöglichen. Dabei sollte selbstverständlich die Subjektivität der Aussagen, welche entsprechend (kritisch) einzuordnen sind, berücksichtigt werden. Vergangene Osterbräuche betreffend war zum Beispiel vom „Jud(as)verbrennen“ die Rede, was zu einem Brauchkomplex zu zählen ist, der jüngst aufgrund von antisemitischen Zügen von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern genauer untersucht worden ist.[5] Derartige Hintergründe gilt es zu reflektieren.

Konnten auch einige, zum Teil heute nicht mehr denkbare, Osterbräuche dokumentiert werden, so ging es dem Organisationsteam des Erzählcafés dennoch vor allem um Folgendes: Menschen zusammenzubringen und den Dialog zu fördern[6] – denn auch das ist Museum. Was könnte deshalb besser für den Erfolg der Veranstaltung sprechen als diese Worte einer Teilnehmerin: „Danke für den schönen Nachmittag.“


[1] Vgl. Dippold, Günter: Das Heimatmuseum – Tradition und Perspektiven, in: Christoph, Barbara/Dippold, Günter (Hg.): HeimatMuseum – Vergangenheit und Zukunft, Bayreuth 2014, S. 9-31, hier: S. 26f. Vgl. Herget, Beate/Pleitner, Berit: Heimat im Museum? Statt einer Einleitung, in: Dies.: Heimat im Museum? Museale Konzeptionen zur Heimat und Erinnerungskultur in Deutschland und Polen, München 2008, S. 9-24, hier: S. 21. Vgl. Lochmann, Hans: Heimatmuseen – Orte neuer Heimat? Potenziale für die Weiterentwicklung, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 17 (2019/20), S. 313-319, hier: S. 318. Vgl. Lochmann, Hans: Museum von unten. Globale Geschichte in lokaler Perspektive, in: Schneider, Wolfgang (Hg.): Weißbuch Breitenkultur. Kulturpolitische Kartografie eines gesellschaftlichen Phänomens am Beispiel des Landes Niedersachsen, Hildesheim 2014, S. 95-104, hier: S. 99. Vgl. Lummel, Peter: Besucherorientierung – Heimatmuseum was tun?, in: Christoph, Barbara/Dippold, Günter (Hg.): HeimatMuseum – Vergangenheit und Zukunft, Bayreuth 2014, S. 135-160, hier: S. 141f.

[2] Vgl. Mandel, Birgit: Kontemplativer Musentempel, Bildungsstätte und populäres Entertainment-Center. Ansprüche an das Museum und (neue) Strategien der Museumsvermittlung, in: John, Hartmut/Dauschek, Anja (Hg.): Museen neu denken. Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit, Bielefeld 2008, S. 75-87, hier: S. 77.

[3] Vgl. Dornik, Wolfram: Heimat.Museum reloaded! Aktuelle Herausforderungen in der Konzeption regionaler Museen, in: neues museum. Die österreichische Museumszeitschrift 13/2 (2013), S. 8-12, hier: S. 12.

[4] Vgl. die Museumsdefinition des ICOM, online verfügbar unter: https://icom-deutschland.de/de/icom-deutschland/handlungsfelder.html (zuletzt eingesehen am 28.03.2024).

[5] Vgl. RIAS: Das Judasfeuer – ein antisemitischer Osterbrauch in Bayern, München 2020, online verfügbar unter: https://report-antisemitism.de/documents/2020-04-02_rias-by_Judasfeuer-Osterbrauch.pdf (zuletzt eingesehen am 28.03.2024). Auf S. 10 und S. 38f. des Berichts finden sich Informationen zur vergangenen und gegenwärtigen Ausübung des Brauchs in der Oberpfalz. Die Ausführungen zum „Kreizl stecken“ decken sich mit den Informationen der Teilnehmerinnen, welche in ihren Erzählungen auch darauf eingehen, dass das angekokelte Holz die Felder vor dem „Bilmesschneider“ und in Zeiten vor Pestizideinsatz allgemein vor Schädlingen schützen sollte (s. auch S. 18-20 des Berichts). Schon seit geraumer Zeit wird der Brauch in den Wohnorten der Erzählerinnen nicht mehr praktiziert.

[6] Aus diesem Grund konzentrierte sich die Veranstaltung auch nicht ausschließlich auf handgemachte Gegenstände im Kontext von Osterbräuchen, sondern fasste den thematischen Fokus etwas weiter und ließ die Teilnehmerinnen möglichst frei erzählen.

Michaela Stauber, M.A., ist seit Oktober 2022 als Doktorandin im Rahmen des Projekts hand.gemacht am Freilandmuseum Oberpfalz beschäftigt. Sie studierte von 2016 bis 2022 an der Universität Regensburg Geschichte, Germanistik und Vergleichende Kulturwissenschaft sowie Public History und Kulturvermittlung.

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