Jugend zwischen Stadt und Land – Treffpunkte junger Erwachsener im Regensburger Umland

„Bei uns geht nicht so viel ab.“1

Dieser Satz von Lea, 23 Jahre, Studentin, klingt zunächst nach gepflegter Langeweile. Lea wohnt in Eilsbrunn, einem Dorf im Speckgürtel von Regensburg – also genau in jener Zone, die nicht ganz Stadt und nicht ganz Land ist. Aber was bedeutet das eigentlich für junge Menschen, die hier aufwachsen? Wo trifft man sich, wenn man weder mitten in der Stadt noch tief auf dem Land lebt, sondern im dazwischenliegenden, oft unterschätzten Raum des Suburbanen?

Zwischen Idylle und Mangel – Soziale Räume im Regensburger Speckgürtel

Das Leben im Suburbanen wird gerne mit Reihenhäusern, akkurat gestutzten Hecken und dem obligatorischen Einkaufszentrum am Ortsrand verbunden. Falsch ist das Bild nicht, aber eben auch nicht die ganze Wahrheit. Denn die Regionen zwischen Stadt und Land haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Sie sind heute eigene Lebenswelten, die weder völlig von der Großstadt abhängen noch das klassische Dorfleben abbilden. Für viele Menschen bilden sie heute den Mittelpunkt ihres Alltags. Die Nähe zur Metropole spielt zwar weiterhin eine Rolle, ist aber nur noch eine von mehreren Funktionen. Damit löst sich die frühere, klare Gegenüberstellung von Stadt und Land mehr und mehr auf.2

Ein Berg neben dem Dorf Eilsbrunn im Regensburger Speckgürtel mit kleinem Gipfelkreuz und einer Bank. In der Weite sieht man eine hügelige Landschaft mit Wäldern und angeschnitten das Dorf Eilsbrunn.
Berg mit Gipfelkreuz und Bank bei Eilsbrunn, Foto: Lea

Für Lea ist ihr Heimatort zwar idyllisch, aber eben auch: ruhig, sehr ruhig. „Da geht nicht viel”3, sagt sie lachend. Den Kirchweihtag gibt es zwar, aber Feste wie das Maifest finden oft in den größeren Nachbardörfern wie Sinzing oder Schönhofen statt – Orte, an denen Lea Freundschaften pflegt, weil sie dort zur Schule ging. Ein Café oder eine Bar im Ort? Fehlanzeige. Selbst der Bäcker sperrt nur zweimal pro Woche auf. Treffpunkte verlagern sich deshalb in private Räume: ins Kinderzimmer, in den Garten oder im Sommer an den Badesee. Wer richtig feiern will, fährt nach Regensburg – und steht spätestens um 1:30 Uhr vor dem Problem, dass der letzte Bus schon weg ist. Lea beschreibt, dass sie meist mit dem Auto fährt, von den Eltern abgeholt wird oder bei Freund:innen übernachtet.4

Ohne Auto läuft nichts

Moderne Bushaltestelle im Herzen von Eilsbrunn neben der Kirche.
Bushaltestelle in Eilsbrunn, Foto: Lea

Busfahren ist für Lea Alltag – zumindest tagsüber. Wer aber öfter abends unterwegs ist, merkt schnell: Ohne Auto geht hier wenig. Der Bus kommt nur stündlich, am Wochenende sogar noch seltener. Praktisch, dass Regensburg von Eilsbrunn nur eine Viertelstunde entfernt liegt. Für Lea ist die Fahrt in die Stadt deshalb Routine: Uni, Freund:innen, Einkaufen – alles läuft dort. „Fast jeden Tag“ ist Lea in der Stadt, erzählt sie, „also fünfmal die Woche auf jeden Fall […].“5 

Busfahrplan Eilsbrunn Kirche bis Regensburg Hauptbahnhof.
Busfahrplan von Eilsbrunn nach Regensburg Hauptbahnhof, Foto: Lea

Viele ihrer engeren Kontakte stammen aus dem Gymnasium in Regensburg oder aus dem Studium an der OTH Regensburg. Daher trifft sie den Großteil ihres Freundeskreises immer in der Stadt. Trotz der Entfernung empfindet sie das Pendeln aber nicht als Belastung, sondern als Teil ihres Alltags. Für Lea bedeutet die Fahrt nach Regensburg nicht nur den Weg zu Vorlesungen oder Verpflichtungen, sondern vor allem auch die Eintrittskarte ins soziale Leben. Cafébesuche, spontane Treffen an der Donau oder lange Nächte in Bars – all das findet fast ausschließlich dort statt. Das Auto oder der Bus sind für sie weniger Verkehrsmittel als vielmehr Brücken, die ihr den Zugang zu ihrem Freundeskreis ermöglichen. Gleichzeitig macht gerade diese ständige Bewegung deutlich, wie stark Jugend im suburbanen Raum mit Mobilität verknüpft ist: Wer dazugehören will, muss unterwegs sein.

„Eben dadurch, dass viele weg sind oder weil viele Freunde in der Stadt sind, ist es halt einfach, dass man sich in der Stadt trifft und das ist auch okay für mich.“6 – Lea

Gleichaltrige in ihrem Dorf gibt es kaum mehr. Fast alle sind weggezogen. Aber besonders wenn diese Freund:innen zu Besuch sind, werden spontan Treffen verabredet. Inoffizielle Treffpunkte gibt es in Leas Freundeskreis nicht, aber sie merkt an, dass die jüngere Generation, etwa die Zwölfjährigen, den Spielplatz im Dorf als sozialen Treffpunkt verwenden.7

Jugend im Wandel

Jugend ist keine fixe Lebensphase mehr. Früher galt sie als Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Heute ist alles flexibler, individueller, manchmal auch widersprüchlich. Der Soziologe Ferchhoff spricht deshalb von „Jugenden“ im Plural – weil es keine klare, einheitliche Jugend gibt. Die festen Strukturen lösen sich auf, und aus „der einen Jugend“ sind viele verschiedene Jugenden geworden. Jeder lebt diese Zeit ein bisschen anders – mal früher, mal später, mal länger, mal kürzer. Jugend besitzt weder einen eindeutigen Anfang noch ein festgelegtes Ende und durch längere Ausbildungswege wird sie auch stetig ausgedehnt. Genau diese Vielfalt macht sichtbar, wie bunt und individuell jugendliche Lebenswege inzwischen sind. 8

Auch bei Lea zeigt sich das. Ein Teil ihres Freundeskreises lebt verstreut in ganz Deutschland, andere hat sie an der OTH Regensburg kennengelernt. Mal trifft sie die alten Bekannten im Dorf, wenn ihre Schulfreunde die Eltern besuchen, mal neue Freund:innen in der Stadt. Ihre soziale Welt setzt sich also aus vielen Puzzleteilen zusammen – mal hier, mal dort, oft spontan. Ihre Lebensphase ist dadurch weniger durch feste Gruppenbindungen bestimmt, sondern durch eine Mischung aus alten und neuen Beziehungen, durch räumliche Mobilität und situative Verabredungen.9 Jugend erscheint hier nicht als klar umrissene Übergangszeit, sondern als dynamischer, individueller Abschnitt, der stark im Wandel ist – gerade im Hinblick auf soziale Treffen.10

Freundschaft auf Achse

Eines wird im Gespräch mit Lea deutlich: Jugend im Speckgürtel heißt, ständig mobil zu sein. Treffpunkte gibt es kaum vor Ort. Begegnung entsteht unterwegs – in der Stadt, im Club, am See oder im Wohnzimmer einer Freundin.11

Das suburban geprägte Leben der jungen Erwachsenen ist dadurch alles andere als statisch. Es ist ein Kommen und Gehen, ein Pendeln und Planen, manchmal auch Improvisieren. Und vielleicht steckt genau darin der besondere Charme dieser Zwischenräume: Sie zwingen dazu, kreativ zu werden, Wege zu finden – und die Freundschaften, die bleiben, immer wieder neu auszuhandeln.


Quellenverzeichnis
  1. Interviewtranskription, Lea, Anonymisiert (Studentin, 23 Jahre), virtuelles Interview, 26.06.2025, geführt von Anna-Lena Paulus. ↩︎
  2. Vgl. Fischer Norbert: Zwischen Stadt und Land: Zur Topographie des Suburbanen. In: Bockhorn, Olaf, Dimt, Gunter, Hörander Edith: Urbane Welten. Referate Der Österreichischen Volkskundetagung 1998 in Linz. Wien. 1999, S. 121. ↩︎
  3. Interviewtranskription, Lea, Anonymisiert (Studentin, 23 Jahre), virtuelles Interview, 26.06.2025, geführt von Anna-Lena Paulus.  ↩︎
  4. Vgl. Interviewtranskription, Lea, Anonymisiert (Studentin, 23 Jahre), virtuelles Interview, 26.06.2025, geführt von Anna-Lena Paulus. ↩︎
  5. Interviewtranskription, Lea, Anonymisiert (Studentin, 23 Jahre), virtuelles Interview, 26.06.2025, geführt von Anna-Lena Paulus. ↩︎
  6. Interviewtranskription, Lea, Anonymisiert (Studentin, 23 Jahre), virtuelles Interview, 26.06.2025, geführt von Anna-Lena Paulus. ↩︎
  7. Vgl. Interviewtranskription, Lea, Anonymisiert (Studentin, 23 Jahre), virtuelles Interview, 26.06.2025, geführt von Anna-Lena Paulus. ↩︎
  8. Vgl. Binder, Jana: Is`ja net jeder der vom Kaff kommt gleich e`n Bauer. Jugendkulturelle Praxen in ländlichen Regionen. Münster. 2001, S. 3-6. ↩︎
  9. Vgl. Interviewtranskription, Lea, Anonymisiert (Studentin, 23 Jahre), virtuelles Interview, 26.06.2025, geführt von Anna-Lena Paulus. ↩︎
  10. Vgl. Binder: Jugendkulturelle Praxen in ländlichen Regionen (2001), S. 3-6. ↩︎
  11. Vgl. Interviewtranskription, Lea, Anonymisiert (Studentin, 23 Jahre), virtuelles Interview, 26.06.2025, geführt von Anna-Lena Paulus. ↩︎