Digitalität und Virtualität

Virtuelle Umgebungen erfreuen sich als Vermittlungswerkzeug immer größerer Beliebtheit. Ob Online- und 3D-Sammlungen im Deutschen Museum1, 360-Grad Ausstellungen im Haus der Bayerischen Geschichte2, oder unser eigenes Projekt hand.gemacht, immer mehr Kultureinrichtungen setzen auf virtuelle Räume als Kommunikationsformat. Wie man an diesen Beispielen bereits erkennen kann unterscheiden sich die virtuellen Räume stark voneinander und noch stärker von analogen Räumen. Sie sind zum einen begrenzt, abgeschlossen und stellen meist einzelne Themen in den Fokus. Andererseits springt man, anders als in der Wirklichkeit, spontan vom einen in den nächsten.
Diese Unterschiede in Erlebnis, Interaktion und Navigation virtueller Räume machen das Potential für innovative Kommunikationskonzepte aus. Dabei stehen die Begriffe Digitalität und Virtualität im Kern dieser Konzepte.

Digitales und Digitalität

Virtuelle Umgebungen stehen oft in einem digitalen Kontext und sind computergeneriert. Die technologische Umsetzung ist dabei zunächst nicht weiter von Interesse, denn digitale Kommunikation wirkt sich in besonderem Maße auf kulturelle Prozesse aus. Sie macht diese räumlich und zeitlich unabhängig. Eine kurze Unterhaltung mit Kollegen auf der anderen Seite der Welt wird durch digitale Telekommunikation erheblich einfacher. In dieser Ortsunabhängigkeit und Gleichzeitigkeit der Kommunikation liegt der große Unterschied zu analoger Kommunikation. “Digitalität” verweist hier auf die daraus entstehende Möglichkeit verschiedenste Akteure wie nie zuvor untereinander zu verknüpfen3 .

Eine virtuelle Umgebung im digitalen Kontext ist also eine Umgebung, welche die angesprochenen Möglichkeiten der Verknüpfung menschlicher und nicht-menschlicher Akteure inne hat. Foren, Messenger-Gruppen, Wissens-Sammlungen oder Social Media Plattformen sind nur einige Beispiele virtueller Umgebungen in der digitalen Sphäre. Dort schreiben wir unseren Liebsten, streiten uns um Details oder bringen uns neue Dinge bei. Wir nutzen diese “Räume” um soziale Beziehungen zu schaffen und zu verhandeln.

Virtuelles und Virtualität

Virtuell ist seinem Wortstamm4 entsprechend etwas “nicht greifbares” wie Moral, Charakter, mentale Stärke, allerdings auf einer sehr abstrakten Ebene. Heutige Definitionen weisen immer wieder auf die “Essenz” einer Sache hin, die “(noch) nicht” oder nur “beinahe” Wirklichkeit ist567. Virtuell beschreibt das “Möglich sein” einer Sache und im Besonderen jene Möglichkeiten die noch nicht realisiert wurden. Virtuelles hat zuvor etabliertes, “wirkliches” als Grundlage. Diese Referenz ist der Unterschied zum Nicht-Wirklichen beziehungsweise zum Nicht-Existenten. “Virtualität” ist das Spektrum an realisierbaren Möglichkeiten eines Phänomens. Dabei spielt die Akzeptanz und Glaubhaftigkeit dieser Möglichkeiten eine entscheidende Rolle.

Lassen wir uns beispielhaft ein Gebäude von einem Architekten planen wird im Laufe des Prozesses eine Skizze entstehen. Diese Skizze ist die Darstellung eines virtuellen Gebäudes auf einem Planpapier oder als digitales Modell auf dem Computer. Es existiert nur als visualisierte Idee. Zu einem späteren Zeitpunkt kann das Gebäude anhand dieser Skizze dann realisiert werden. Aus der Idee wird Wirklichkeit. Die Skizze eines Architekten macht das Verhältnis von Virtualität, also dem “Möglich sein” und Realität, dem “Realisiert sein”, anschaulich. Das Gebäude wird von einem Virtuellen zu einem Realen.

Umdeutung des Virtuellen durch das digitale Zeitalter

Im Kontext des Elektronischen oder Digitalen wird “Virtuell” einem Begriff vorangestellt um computergestützte Repräsentationen realer Gegenstände zu beschreiben. Die virtuelle Tastatur, der virtuelle Speicher, oder das virtuelle Klassenzimmer sind nur einige Beispiele. Eigentlich eine Kehrtwende zum ursprünglichen Sprachgebrauch. Wo vorher etwas bezeichnet wurde was eben (noch) nicht real ist, wird nun eine digitale Repräsentation von etwas Realem beschrieben.

Eine weitere Umdeutung des Virtuellen ist die Konnotation mit einer Dreidimensionalität und rührt vermutlich von der 1987 durch Jaron Lanier und Steve Bryson formulierten Definition der “Virtual Reality” (VR) her. In einem 2013 herausgegebenen Essay schlägt Bryson weiter folgende Definition vor: “Virtuelle Realität ist die Verwendung von Computertechnologie, um den Effekt einer interaktiven dreidimensionalen Welt zu erzeugen, in der die Objekte ein Gefühl der räumlichen Präsenz haben.”8

Virtualität des Digitalen

Im Kontext des Digitalen bedeutet “Virtuell” also: Vom Realen in das Digitale überführt. Betrachtet man das Virtuelle aus der Perspektive der Kommunikation, offenbart sich Virtualität als diejenigen Möglichkeiten der Interaktion zwischen unterschiedlichen Akteuren, welche im Virtuellen neu zu Tage treten9 oder durch Reduktion entfallen. Virtualität ist beispielsweise den Mount Everest in VR ohne Sauerstoff-Flasche und Bergsteiger-Ausrüstung zu besteigen. Virtualität ist, sich im Computerspiel als Retter einer gänzlich anderen Welt zu erfahren oder sich relativ anonym und ungesehen in virtuellen Räumen wie Social Media-Plattformen zu bewegen.

Virtuelle Räume können also als eine Übersetzung realer Räume in das Digitale gesehen werden. Dabei sollte der Fokus nicht auf ihre geometrischen Eigenschaften, sondern auf ihre Qualitäten als Lebensraum gelegt werden. In ihnen verhandeln wir unsere (digitalen) Beziehungen. Viele Bereiche des analogen Lebens finden inzwischen in diesen virtuellen Räumen statt. Online-Banking, Dating, Marketplaces, und mehr prägen unser Dasein. Wir formen und präsentieren dort unsere Identität und obwohl die Grenzen zwischen Online und Offline anfänglich noch klar erkennbar, verschwimmen diese heute immer mehr.

Virtualität als Chance

Die Bedeutung virtueller Umgebungen wächst stetig und wird zunehmend zu einem zentralen Element der sozialen und kulturellen Kommunikation. Sie bieten nicht nur neue Möglichkeiten der Interaktion und der Darstellung von Inhalten, sondern eröffnen auch ganz neue Perspektiven auf bekannte Themen. In einer Welt, in der analoge und digitale Räume immer stärker miteinander verschmelzen, ist es entscheidend, die virtuellen Räume nicht nur als technologische Innovation zu verstehen, sondern auch als ein sich entwickelndes soziales und kulturelles Phänomen. Der Übergang von der reinen digitalen Repräsentation zur vollwertigen Erfahrung in virtuellen Räumen spiegelt das Potenzial dieser Umgebungen wider, den Alltag zu bereichern, neue Formen der Interaktion zu schaffen und traditionelle Kommunikationswege zu erweitern. Letztlich sind virtuelle Umgebungen, durch ihre inhärente Digitalität und Virtualität, ein spannendes Werkzeug, das unsere Art zu kommunizieren nachhaltig verändert.

Literatur

  1. Deutsches Museum: Deutsches Museum Digital. https://digital.deutsches-museum.de/de/, letzter Zugriff am 3.3.2025 ↩︎
  2. Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, Haus der Bayerischen Geschichte: Verfassung 1946. https://1946.bavariathek.bayern/, letzter Zugriff am 3.3.2025 ↩︎
  3. Stalder, Felix: Kultur der Digitalität. Berlin 2016, Suhrkamp. Seite 18 ↩︎
  4. „virtue“, in: Douglas Harper (Hg.): Etymonline.com. https://www.etymonline.com/word/virtue, letzter Zugriff am 3.3.2025  ↩︎
  5. „virtuell“, in: Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Hg.): DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. https://www.dwds.de/wb/virtuell, abgerufen am 03.03.2025 ↩︎
  6. „virtual“, in: Merriam-Webster.com. https://www.merriam-webster.com/dictionary/virtual, letzter Zugriff am 3.3.2025 ↩︎
  7. „virtual“, in: Cambridge University Press & Assessment (Hg.): Cambridge Dictionary. https://dictionary.cambridge.org/dictionary/english/virtual, letzter Zugriff am 3.3.2025 ↩︎
  8. Bryson, Steve: Virtual Reality: A Definition History – A Personal Essay. arXiv:1312.4322 [cs.HC] https://arxiv.org/abs/1312.4322, letzter Zugriff am 3.3.2025 ↩︎
  9. Norton, Richard: What is Virtuality? in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism, vol. 30, no. 4, 1972, S. 499-505, Seite 499 ↩︎