Posturbanität und Digitalität als Chance für Freilandmuseen
(Vortrag gehalten von Dr. Tobias Hammerl am 20.09.2024 auf der Fachgruppentagung der Freilichtmuseen des Deutschen Museumsbundes)
Einleitung: Beitrag möchte ein Denkanstoß sein!
Unsere Fachgruppentagung hatte zum Ziel, die Stärken unserer Museen und deren Rolle in der Museumslandschaft zu beleuchten. Auch wenn im Titel unserer Tagung von der Rolle unserer Museen in der Museumslandschaft die Rede ist, so beinhaltet diese Fragestellung naturgemäß auch die Rolle der Freilichtmuseen im gesamtgesellschaftlichen Gefüge.
Ich möchte in diesem Zusammenhang mit meinem Beitrag zwei sehr wirkmächtige gesellschaftliche Transformationsprozesse, die Posturbanität und die Digitalität, und deren spezifische Auswirkungen auf unseren Museumstyp beleuchten. Erlauben Sie mir aber eine Vorbemerkung: Wenn man den Versuch unternimmt, Reziprozitäten zwischen zwei komplexen gesellschaftlichen Transformationsprozessen auf der einen und der Institution Freilicht- beziehungsweise Freilandmuseum auf der anderen Seite aufzuzeigen, dann merkt man schnell – und so ging es mir auch bei der Vorbereitung auf den Vortrag zur Tagung – dass man in seinen Ausführungen exemplarisch und kursorisch bleiben muss. Ich sehe deshalb meinen Beitrag als einen Denkanstoß, der – wie so oft bei komplexen Themen – mehr Fragen aufwirft, als Antworten präsentiert.
Digitalität: Show must (and will) go on!
Der erste Transformationsprozess, den ich adressieren möchte, ist Ihnen allen bestens bekannt, es handelt sich um den, welchen wir als digitale Transformation bezeichnen. Gemeint ist, dass mehr und mehr Prozesse in einem Museum nicht mehr analog, sondern computergestützt, also digital ablaufen. Dabei unterscheidet man je nach Grad der Transformation zwischen Digitalisierung oder Digitalität. Der erste Begriff beschreibt dabei Prozesse und Zustände, welche noch durch einen hybriden Zustand aus analog und digital geprägt sind, während Digitalität dann erreicht ist, wenn ein Prozess vollständig digital abläuft. Die Digitalisierung beschäftigt die Museen bereits seit Jahrzehnten in allen Kernbereichen unserer Arbeit. Das Ziel war und ist dabei, effizienter zu werden oder Aufgaben zu bewältigen, welche mit analogen Mitteln nicht erfüllbar wären. Ob im Depot, in der Verwaltung oder bei der Vermittlungsarbeit: Es gibt keinen Bereich, in dem nicht bereits digitalisiert gearbeitet wird. Selbst das Futter für das Rote Höhenvieh wird heute selbstverständlich per E-Mail bestellt. Dass die Digitalisierung auch zukünftig für uns große Potentiale heben lässt, wissen wir alle aus der Praxis. Egal ob im Bereich der Sammlungspflege, im Bereich der Vermittlung, im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Die Museen werden von der Effizienzsteigerung durch die fortschreitende Digitalisierung weiterhin profitieren. Und selbst unsere Forstwirtschaft, lange noch die letzte Bastion des Analogen, kommt ohne datenbankgestütztes Baumkataster heute auch nicht mehr um die Runden.
Umgekehrt gibt es aber in den Museen noch selten Prozesse, die den Zustand der Digitalität erreicht haben. So sind zwar die Bildbestände vielleicht schon vollständig digitalisiert und es wird auch nur noch digital fotografiert, aber es hapert etwa noch an einer leistungsfähigen Datenbankstruktur oder digital erstellte Verträge müssen in der Verwaltung noch gedruckt und händisch unterschrieben werden, weil noch kein rechtssicherer digitaler Workflow für das Signieren existiert. Zudem bereitet es den Museen durchaus Schwierigkeiten, die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um im Digitalen „up to date“ zu bleiben. Und dabei ist noch kein Abflachen der Innovationskurve zu beobachten. Neben der Entgrenzung des Digitalen durch mobile Geräte ist es vor allem der Themenkomplex Künstliche Intelligenz, deren Impact auf unsere Arbeit – sowohl was Chancen als auch Risiken betrifft – wir bisher kaum absehen können.
Ich möchte die digitale Transformation nicht im Allgemeinen betrachten, das wäre nicht nur vermessen, sondern würde auch Eulen nach Athen tragen, ich möchte hingegen gezielt auf die spezifischen Chancen, welche uns Digitalität im Kontext eines zweiten derzeit ablaufenden Transformationsprozesses bietet, diskutieren, die ich im Titel als Posturbanität bezeichnet habe.
Posturbanität und posturbane Identität in der Suburbia
Während die digitale Transformation in aller Munde und Kopfe ist, so nimmt die zweite Entwicklung, welche ich diskutieren möchte, gegenwärtig keine sonderlich prominente Stelle im öffentlichen Diskurs ein und ist deshalb auch noch kein entscheidender Faktor im Hinblick auf unser institutionelles Handeln. Dies ist umso erstaunlicher, da er die Alltagsrealität von Millionen von Menschen maßgeblich bestimmt und damit letztlich auch direkten Einfluss auf unsere Zielgruppen hat. Abgesehen davon, ist er für unsere Museen, welche sich als Museen der Alltagskultur des ländlichen Raums verstehen, auch inhaltlich extrem spannend. Die Begrifflichkeiten, welche diesen Prozess beschreiben, sind noch nicht im Fachdiskurs allgemeingültig eingeführt bzw. definiert. Teilweise ist in einzelnen Disziplinen, die sich mit ihm befassen, von Posturbanität, neuem Urbanismus, neuer Suburbanität oder auch Postsuburbanismus die Rede. Zwar werden damit teils unterschiedliche Prozesse und Zustände angesprochen, allerdings orientiert man sich in der Betrachtung an den klassischen Phasenmodellen der Stadtentwicklung und stellt fest, dass diese gegenwärtig in eine neue Phase eingetreten ist, welche zum einen durch Reurbanisierung der Kernstädte und einer Weiterentwicklung der Suburbia geprägt ist. Letztere steht dabei auch im Fokus aktueller Forschungsprojekte.[i]
Ich möchte in aller gebotenen Kürze umreißen, wie es zur „Posturbanität“ kam. Wir alle kennen die klassische Stadt-Land-Dichotomie, die seit dem Mittelalter mit Sätzen wie: „Bürger und Bauer trennt die Mauer“ auf einen Nenner gebracht werden kann. Ohne jetzt weiter darauf eingehen zu wollen, dass auch die damaligen Stadt-Land-Beziehungen heterogen und reziprok waren und sich im Laufe der Jahrhunderte ständig weiterentwickelt haben, springen wir gedanklich sofort in die Zeit der Neu- und Vorstädte des 19. Jahrhunderts. Damals entstand ein neue städtebauliche Zone zwischen „der Stadt“ und dem Land, oft katalysiert durch den Eisenbahnbau mit seinen „auf der grünen Wiese“ errichteten Bahnhöfen oder durch Kasernenbauten und Industrieanlagen – aber auch durch den Wunsch der gründerzeitlichen Oberschicht nach villenartigen Gartenhäusern, außerhalb der dicht bebauten Kernstädte. Aus der Perspektive der Menschen war und ist diese Vorstadt klar auf „die Stadt“ ausgerichtet. Ergänzt wurden diese neu errichteten Quartiere oft durch die Eingemeindung von bäuerlich geprägten Ortschaften. Obgleich diese verwaltungstechnisch damit auch zur Stadt wurden, bezeichneten deren Bewohnende – zum Teil bis heute – alltagssprachlich nur die Kern- oder Innenstadt als „die Stadt“. Wenn etwa eine Person aus dem Regensburger Kasernenviertel, aus Reinhausen oder Kumpfmühl gefragt wird, ob sie heute in der Stadt war, dann ist damit gemeint, ob sie sich heute in der Innenstadt aufgehalten hat. Während in den eingemeindenden Ortschaften oft bis heute eine eigene, klar zur Stadt hin abgegrenzte, fast schon dörfliche Identität feststellbar ist, waren die Vorstädte perspektivisch aber auf die Kernstädte ausgerichtet. Die teilweise, etwa in Berlin feststellbare Entwicklung einer eigenständigen Kiezidentität ist dabei aus meiner Sicht der Ausnahmefall.
Aufgrund der oft prekären Wohnverhältnisse in den Vorstädten mit ihren Mietskasernen wurde in England am Ende des 19. Jahrhunderts die Idee der Gartenstadt als städtebauliche Utopie geboren, welche bis heute eine große Wirkmächtigkeit entfaltet. Die Idee eines Ringes von dezentralen, kleinteilig bebauten Siedlungen rund um die Kernstädte, verbunden durch leistungsfähige Verkehrswege, ist bis heute Grundlage der Planung neuer „Stadtquartiere“. Die Gartenstadt oder Reformsiedlung bildete nach dem 1. Weltkrieg die Grundlage des Reichsheimstättengesetzes von 1920 und manifestierte sich schließlich im daraus hervorgehenden völkisch und ideologisch überhöhten Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Diktatur. Obwohl „Göhringheim“ und „Führersiedlung“ nach dem 2. Weltkrieg schnell umbenannt wurden, blieb der mit ihnen entstandene Typus der (Neubau)Siedlung städtebaulich über weite Strecken die prägende Leitlinie. Daran änderte auch das Entstehen der Großwohnsiedlungen, in den 1950er- bis 1970er-Jahren am Rand der Metropolen, nichts, ganz im Gegenteil. Da sich diese Anlagen zunehmend zu sozialen Brennpunkten entwickelten verstärkten sie sogar die Sehnsucht der Menschen nach dem freistehenden Einfamilienhaus mit Garten, so wie sie bis heute ungebrochen ist. Auch die so gennannte Stadtflucht der 1970er- und 1980er-Jahre – Stichwort: „Raus aufs Land!“, „Häuschen im Grünen“ – war oft genug eher eine Flucht in die Suburbanität als eine tatsächliche Flucht aufs flache Land, obgleich es eine derartige, oft sozialromantisch verklärte Binnenmigration natürlich auch gab. Durch den starken Wunsch vom eigenen Häuschen, gefördert durch günstiges Bauland im „Umland“ und vielleicht auch aufgrund eines Widererstarkens traditioneller, „beschaulicher“ Familien- und Lebensvorstellungen als Reaktion auf die gesellschaftlichen Entwicklungen der 1960er- und 1970er-Jahre entstanden nicht nur um die Großstädte, sondern auch um Mittelzentren und sogar um Kleinstädte die suburbanen Siedlungsformen, die heute als Speckgürtel oder Donuts bezeichnet werden. Das Häuschen im Grünen wurde zu dem zentralen Sehnsuchtsort und Wohlstandsversprechen breiter Bevölkerungsschichten, das es bis heute ist.[ii]
Gegenwärtig befinden wir uns in besagter neuer Phase der Stadtentwicklung, welche als Posturbanität zu bezeichnen ist. Diese ist geprägt durch mehrere Teilphänomene. Zum einen umfasst sie die auch politisch gezielt geförderte Reurbanisierung und Restrukturierung der Innenstädte und die damit einhergehenden Gentrifizierungsphänomene sowie den Versuch, die heruntergekommenen Dorfmitten wieder in Wert zu setzen. Zum anderen entwickeln sich im Zuge der Postsuburbanisierung neue ökonomische und soziale Zentren in der Suburbia was zu einer Heterogenisierung dieses Raums führt. Diese beiden Aspekte sind relativ intensiv erforscht. Allerdings gibt es aus meiner Sicht noch einen weiteren Aspekt von Posturbanität, der bisher wenig beleuchtet wurde, aber aus dem Erkenntnisinteresse unserer Museen doch Relevanz hat. Dieser dritte Aspekt, den ich als Teil von Posturbanität sehe, ist die Ablösung der Suburbia mit ihren spezifischen bau- und alltagskulturellen Ausprägungen von der Stadt oder der Suburbanisierung des ländlichen Raums. Selbst im kleinsten Dorf finden sich heute suburbane Siedlungsformen mit ihren zeltbedachten Häusern samt Doppel- und Dreifachgarage und bodentiefen Fenstern – anthrazit lamellenbeschattet versteht sich –, umgeben von robotergemähtem, mit Doppelstabmatten eingezäuntem Abstandsgrün, welches gerade ausreichend Platz für ein oft verwaistes Trampolin neben dem mit großformatigem Feinsteinzeug gefliesten und überdachten Freisitz samt Outdoorküche bietet.

Ich habe im vergangenen Wintersemester 23/24 ein Feldforschungsseminar unter dem Thema „Das suburbane Dorf“ angeboten, im Rahmen dessen die Studierenden Suburbanisierung im ländlichen Raum untersucht haben. Ich kann und möchte unsere stichpunktartigen Beobachtungen weder verallgemeinern noch als abschließend präsentieren, aber eine Sache ist uns aufgefallen. Die Motivationen, sich im Dorf der Eltern oder Großeltern niederzulassen oder dorthin zur Familiengründung zurückzukehren sind zum einen ökonomisch bedingt, da Bauland günstiger ist als in der Stadt oder im städtischen Umland. Nachhaltigkeitsaspekte, zum Beispiel der Flächenverbrauch oder die Zunahme des Verkehrs oder Zeit, die beim Pendeln zum Arbeitsplatz auf der Straße liegen bleibt, spielten hingegen weniger eine Rolle oder werden in Kauf genommen. Zum anderen ist aber auch eine Sehnsucht nach einem „einfachen“ und „geordneten“ Leben, welches in einem vermeintlich „intakten“ und „überschaubaren“ sozialen Umfeld verläuft, feststellbar. Es war jedoch nicht feststellbar, dass dies mit einem klassischen konservativen Roll-Back, zum Beispiel in Bezug auf Geschlechterrollenbilder, einhergeht. Eher das Gegenteil war der Fall. Insofern stellen die oft gut ausgebildeten Rückkehrenden im „neuen Dorf“ durchaus auch eine Chance für die Entwicklung der Dörfer und des ländlichen Raums dar. Man kann folglich vom suburbanisierten Dorf sprechen.
Umgekehrt ließ sich beobachten, dass die Identitätskonstruktionen der Menschen in den klassischen Speckgürteln verstärkt auf das Ländliche stützen. Dazu vielleicht einige Zahlen: „Das Interessante ist, dass 45 Prozent [der Bevölkerung in Deutschland; Anm. d. Autors] in Übergangsregionen leben, die weder eindeutig urban noch ländlich sind. Das sind die sogenannten Speckgürtel, die Randzonen der Städte. Diese sind die am schnellsten wachsenden Regionen in den letzten Jahren.“ (Sander 2024, o. S.) Und diese 45 Prozent verstehen sich nicht (mehr) als Bewohnende einer Großstadt, einer Metropolregion oder gar als Vorstadtbewohnende, sondern als Bewohnende des ländlichen Raums, auch wenn dies aus siedlungsgeographischer Sicht nicht der Fall ist. Dies bedeutet, dass obgleich nach gängigen demographischen Zahlen 77 % der Menschen in Deutschland in Städten leben und nur 5 % tatsächlich „auf dem Land“, fällt die Urbanisierung in den Köpfen deutlich geringer aus oder ist sogar auf dem Rückzug. Wir konnten in dem von uns untersuchten Ausschnitt beobachten, dass in den Speckgürtelkommunen eher auf das „Rurale“, das „Bäuerliche“, „das Traditionelle“ und das „Vorindustrielle“ als identitätsstiftendes Moment zurückgegriffen wird: Maibaum, Trachtenverein, Blasmusik, Perchtenlauf etc. als Teil der suburbanen Alltagskultur. Oder anders ausgedrückt: Rein identitätsmäßig leben 50 % der Deutschen auf dem Land, auch wenn sie S-Bahnanschluss und Fachmarktzentrum direkt vor der Haustüre haben.
Posturbanität und Digitalität als Aufgabe und Chance
Diese Entwicklung ist für uns, als die Museen, die sich mit der ländlichen und kleinstädtischen Bau- und Alltagskultur befassen, zunächst einmal inhaltlich sehr spannend und stellt uns die Aufgabe, dieser Entwicklung des ländlichen Raums im Rahmen unserer Sammlungs-, Forschungs- und Vermittlungstätigkeit Rechnung zu tragen. Bezüglich des suburbanisierten Dorfes dürfte diese Feststellung im Kreis der Freilichtmuseen sicher konsensfähig sein. Sollen wir uns aber auch inhaltlich den Übergangszonen, den Speckgürteln und Donutringen widmen? Obgleich sich natürlich immer die Frage stellt, ob für das Bestellen eines neuen Feldes genug Ressourcen zur Verfügung stehen, so würde ich dafür plädieren, diese Frage aus strategischer Sicht zu bejahen, da es unsere gesellschaftliche Relevanz erhöht, der wir letztlich unsere Existenz verdanken. Zudem sehe ich uns durchaus auch ein Stück weit in der Verantwortung, auch die Geschichte der Menschen zu erzählen, welche in den Museen der urbanen Zentren ein Stück weit hintenangestellt werden. Obgleich unser Museumstypus durchaus hohe Beliebtheitswerte in der Bevölkerung aufweist, so macht es wie ich meine durchaus einen Unterschied, ob 5 % der Bevölkerung uns als „ihre“ Museen betrachten oder 50 %.
Aber warum habe ich in diesem Beitrag nun die Posturbanität mit der Digitalität gemeinsam vor den Karren gespannt? Ich denke, dass gerade bei der Erforschung und Vermittlung suburbaner Milieus den digitalen Methoden ein sehr großer Stellenwert zukommt. Ich denke auch, dass es sehr schwierig werden wird, auf unseren Geländen durch Translozierungen die Suburbia abzubilden, obgleich es Ansätze dafür bereits gibt. Und ich persönlich würde mich freuen, wenn wir irgendwann ein klassisches Wohnhaus aus einer Neubausiedlung im Museum zeigen könnten. Bis dahin aber kann der digitale Raum unser „White Cube“ sein. Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin nicht der Meinung, dass ein digitaler Zwilling eine klassisches Translozierung oder auch eine klassisches Sammlungstätigkeit ersetzen kann. Aber um das Thema überhaupt erst einmal aufzuzeigen, Awareness zu schaffen und auch die Verantwortlichen der für Freilichtmuseen recht unterschiedlichen Trägerschaften davon zu überzeugen, dass man sich in einem neuen Feld bewegen sollte, halte ich den digitalen Raum als das Mittel der Wahl. Vor allem, da die Erstellung eines digitalen Zwillings im Grunde die Vorarbeit für eine Translozierung darstellt. Den zweiten Aspekt, den ich sehe, ist, dass wir die Menschen der Suburbia, sowohl im Hinblick auf unsere Sammlungs- und Forschungsaktivitäten als auch im Hinblick auf die Kommunikation mit dieser für uns sehr wichtigen Zielgruppe am ehesten im digitalen Raum erreichen. Dies liegt an den sozialen und identitären Besonderheiten dieser Übergangszonen zwischen Stadt und Land.
Fazit
Unsere Tagung hatte ja das Ziel, sich mit den Chancen für unsere Museen auseinandersetzen. Ich denke, dass gerade die Suburbia uns große Möglichkeiten eröffnet, um uns zum einen inhaltlich weiterzuentwickeln aber auch der von uns an uns selbst gestellten Aufgaben, aktiv an gesellschaftlichen Diskursen teilzunehmen, gerecht zu werden. Wenn es sich verallgemeinern lässt, dass sich ein Großteil der Menschen im Speckgürtel identitär von der Stadt – und damit auch von den mir ihr verbundenen liberalen und progressiven gesellschaftlichen Vorstellungen – verabschiedet hat und stattdessen sich auf ein nostalgisches Konstrukt des Ländlichen als identitätsstiftende Basis zurückgreift und falls sich dann noch das Gefühl des Abgehängtseins oder des Nichtwahrgenommenwerdens verfestigt, bildet dies genau die Melange, welche zum idealen Nährboden für die politischen Vorstellungen der Ewiggestrigen wird. Obgleich historisch gesehen der ländliche Raum, zum Beispiel während der Frühphase der Industrialisierung, die Oberpfalz wird ja nicht grundlos als Ruhrgebiet des Mittelalters bezeichnet, durchaus auch Innovationsraum war, so ist dies eben nicht Teil des kulturellen Konstrukts „des Ländlichen“. Nein, die Konstruktion dieses suburbanen Ländlichen beruht auf Bauer, Bulldog und Bullerbü! Aus meiner Sicht ist dies auch der Grund, warum die so genannten „Bauernproteste“, faktisch waren es ja eher Proteste von Lohnunternehmen, so einen großen Widerhall in der Bevölkerung gefunden haben. Die Zahl der von der damals geplanten Besteuerung des Agrardiesels Betroffenen war gesamtgesellschaftlich gesehen überschaubar, der Widerhall den diese Proteste aber in den digitalen Echokammern hervorgerufen hat hingegen riesig. Der Grund liegt meines Erachtens darin, dass sich 50 % der Bevölkerung als „Dorfkinder“ verstehen.
Wäre es dann nicht auch unsere Aufgabe, einen Beitrag zu einer positiven „subruralen“ Identität zu leisten? Ich gehe davon aus, dass einige von Ihnen nun Bedenken haben, ob wir als Museen gut dran tun, uns überhaupt auf dieses Terrain zu wagen. Wäre es nicht besser, lediglich die Rolle der Beobachtenden und Dokumentierenden einzunehmen? Ich meine nicht, denn wir nehmen, gerade durch die von uns generierten Bilder des Ländlichen, an den besagten Konstruktionsprozessen von Identität bereits teil, ob wir das wollen oder nicht. Und es kann nicht in unserem Interesse sein, zum nostalgischen Referenzraum für das Neo-Biedermeier der Suburb degradiert zu werden. Und genau deshalb sehe ich es als wichtig an, dass wir die Suburbia in den Fokus nehmen und als Chance begreifen, um unseren Museen inhaltlich ein neues Feld zu erschließen und gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zu hochaktuellen gesellschaftlichen Diskursen leisten – und das wollen wir doch, oder?
Anmerkungen
[1] Z.B.: Forschungsgruppe „Stadterweiterung in Zeiten der Reurbanisierung – neue (Sub-)Urbanität”; vgl.: https://suburbanitaet.de/, aufgerufen am 30.11.2024.
2 Judith Lembke (2024): Normierte Träume. Auf: https://m.faz.net/aktuell/wirtschaft/wohnen/deutsche-traeumen-von-einfamilienhaus-im-bauhausstil-17405715.html?utm_content=buffera7bb9&utm_medium=social&utm_source=facebook.com&utm_campaign=GEPC%253Ds6&fbclid=IwAR131zkfMFkjvSy47FQzmBxYkgTOO1qNxaNGnbE6xch3aKS9T7QMk6VD7Os, vom: 24.06.2021, aufgerufen am 02.07.2024.
Literatur
Sander, Nikola (2024): Überflugsrechnung. Stadtflucht ein Mythos. Auf: https://www.derpragmaticus.com/r/stadtflucht, vom 29.03.2023, aufgerufen am 30.11.2024.