Von Mopsfledermaus und Gelbbauchunke: Tiere in der musealen Kulturlandschaft

Wenn es im Museum kreucht und fleucht, dann setzt dies unter normalen Umständen eine DIN EN 16790-konforme Prozesskette der Vernichtung in Gang. Die für das Integrated Pest Management zuständige Fachstelle im Haus entwirft Schlachtpläne mit dem Ziel, den das Kulturgut bedrohenden Schädlingen möglichst schnell den Garaus zu machen. Darüber hinaus kommt, zumindest in Altbauten, auch ganzjährig gerne noch die Mausefalle, wenn auch in der neuen Ausführung „Supercat“ aus Plastik, zum Einsatz.

Im Gegensatz dazu sind in den Freilicht- und Freilandmuseen tierische und pflanzliche Symbionten fester Bestandteil des Inventars. Dies bezieht sich zum einen auf die schon seit Jahrzehnten von den Freilandmuseen gehaltenen alten Haus- und Nutztierrassen, vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein über das Deutsche Reichshuhn bis hin zum Roten Höhenvieh. Zum anderen sind in einer Reihe von Freilichtmuseen Biotope mit entsprechender Artenvielfalt nachweisbar. So wurden etwa „im Hessenpark insgesamt 77 unterschiedliche Biotoptypen, wovon 14 sogar gesetzlich geschützt sind, gefunden, sodass man den Hessenpark als grüne Oase in einem dicht besiedelten und intensiv genutzten Raum sehen kann, welche durch ihre Vielfältigkeit vielen Pflanzen-, aber auch Tierarten eine Heimat bietet und somit bei richtiger Nutzung und Pflege zur Erhaltung einer reichen Biodiversität beiträgt.“[1]

Mausefall "Supercat" im Edelmannshof (Foto: Tobias Hammerl)
Mausefall „Supercat“ im Edelmannshof (Foto: Tobias Hammerl)

Im Freilandmuseum Oberpfalz führen Biologen die Kartierung und Erforschung der auf dem Museumsgelände heimischen Flora sowie der Tier- und Pflanzgengemeinschaften an und in den Museumsteichen bereits seit 1989 systematisch und regelmäßig durch.[2] Die Fauna dagegen wurde bisher lediglich in Form von artenspezifischen Kartierungen untersucht, welche jedoch dennoch einen Einblick in die Biodiversität auf dem Museumsgelände geben. Trotz der eigentlich überschaubaren Fläche von nur rund 35 Hektar[3] haben sich seit 1986 hunderte Tierarten auf dem Museumsareal angesiedelt. Die bisher beobachteten Arten sind:

  • 15 Fledermausarten
  • mehr als 60 Vogelarten beobachtet oder durch Rufe identifiziert.
  • vier Reptilienarten (u.a. Blindschleiche, Zauneidechse)
  • sieben Amphibienarten (Kröten, Frösche, Molche, Unken)
  • 40 Tagfalterarten
  • mehr als 175 Arten an Nachtfaltern
  • 30 Libellenarten
  • 20 Arten an Heuschrecken
  • sechs Waldameisenarten

Darüber hinaus leben im Freilandmuseum Oberpfalz nicht nur eine unbekannte Anzahl an Wildbienen-, Wespen-, Ameisen- und Spinnenspezies, sondern auch zahlreiche weitere Nage- und Kleintierarten.

Der Grund, dass bestimmte Freilicht- und Freilandmuseen zu regelrechten Artenhotspots wurden, liegt vor allem in der konzeptionellen Weiterentwicklung der Freilichtmuseen in den 1980er Jahren. Wurden lokal- und regionaltypische Bauwerke in den ersten Freilichtmuseen oft in idealisierten Parklandschaften entlang eines Rundwegs gezeigt, so sollten nach dem sogenannten Kulturlandschaftskonzept die translozierten Gebäude in einer möglichst „authentischen“, dem Herkunftskontext nachempfundenen Museumslandschaft präsentiert werden. Dieser Paradigmenwechsel führte nicht zuletzt zur Neufassung der ICOM-Definition der Freilichtmuseen im Jahr 1982 und manifestiert sich prototypisch in der Konzeptionsgeschichte des Freilandmuseums Oberpfalz. Dieses wurde ab 1979 zunächst als klassisches „Park- und Architekturmuseum“ gedacht und geplant. 1983 legte dann der neue Museumsleiter Manfred Neugebauer einen vollständig überarbeiteten „Rahmenplan zum Auf­bau des Oberpfälzer Freilandmuseums Neusath-Perschen“ auf Basis des Kulturlandschaftskonzeptes vor.[4]

„Der Leitgedanke zur Neukonzeption des Frei­landmuseums ging von den Fragen aus, ob und wie, das Wirken vom Menschen im Raum und seine Wirkung auf die Natur, die er nutzt, im Museums­gelände dargestellt werden kann.“[5] Dabei trug Neugebauer von Beginn an den Belangen des Artenschutzes Rechnung: „Noch während der Planungs- und ersten Aufbau­phase stellte sich die Frage nach einem eigenen Artenschutzprogramm für das Museumsgelände. Im Zuge der Nachstellung einer historischen Kul­turlandschaft mußten auch spezifische Tier- und Pflanzengesellschaften herausgebildet werden, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert noch weit ver­breitet waren. So sollte die vorhandene Vegetation durch eine historisch belegte Nutzung und Bewirt­schaftung in ihrer Entwicklung allmählich verän­dert werden. Zugleich mußte aber auch ein Be­standschutz angestrebt werden. Für den Arten­reichtum der Tierwelt einer historischen Kultur­landschaft sollten entsprechende Lebensräume geschaffen werden.“[6] Diese Lebensräume finden sich heute an und in den Museumsgebäuden, wenn etwa Hornissen die Dachböden und Schwalben Mauervorsprünge bevölkern oder Fledermäuse sich hinter Fensterläden niederlassen, neben den Museumsgebäuden auf sogenannten Ruderalplätzen oder im Misthaufen, in den Gärten und Streuobstwiesen, auf Äckern und Wiesen, in Feldrainen und Hecken, an, auf und unter Wasserflächen sowie im Hoch-, Mittel- und Niederwald des Museums. Der heutige Artenreichtum ist folglich kein Zufall, sondern das Ergebnis einer vorausschauenden Planung, welche das Freilandmuseum Oberpfalz von Beginn an als „ganzheitliches“ Freilandmuseum[7] sah. Die so entstandene museale Kulturlandschaft entwickelte sich vor allem aufgrund der extensiven Flächenbewirtschaftung und behutsamen Landschaftspflege zu einem Refugium für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten.

Kleinteiliger Nutzungsplan der Museumsflächen, Institut für Vegetationskunde und Landschaftspflege 1990
Kleinteiliger Nutzungsplan der Museumsflächen, Institut für Vegetationskunde und Landschaftspflege 1990

Und auch die spätere Entwicklung des Freilandmuseums Oberpfalz zur staatlich anerkannten Umweltstation nahm Manfred Neugebauer gedanklich bereits 1992 vorweg: „Auf diesem Hintergrund soll ein Umweltbildungszentrum für die Oberpfalz mit den o.g. aktuellen Themenbereichen im Oberpfälzer Freilandmuseum aufgebaut werden. […] In einem Umweltbildungszentrum sollen auch weiterführende Fragen mit grundlegenden Erkenntnissen zur Kulturökologie bis in die Gegenwart problembewußt dargestellt werden. Damit wird das kulturgeschichtliche Museum durch die Aufgabe der ,Kulturökologieʻ erweitert.“[8] Die Idee eines Umweltbildungszentrums wurde ab 1999 verwirklicht und führte zunächst zur Verleihung des Qualitätssiegels „Umweltbildung.Bayern“ im Jahr 2006 und schließlich zur staatlichen Anerkennung als Umweltstation 2018. Bei dem seither aufgelegten Programm zur Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung spielen auch die tierischen Bewohner des Museums eine wichtige Rolle. So basteln Kinder im Rahmen des Ferienprogramms „Mopsman“ und Erwachsene erkunden die Welt der Mopsfledermäuse mit einem Biologen. Außerdem ergreift das Museum weitere Maßnahmen, um vor allem bedrohten Arten die Ansiedlung im Museumsgelände zu ermöglichen. So wurden etwa im Bereich der Rauberweiherhauses flache Betonwannen in den Boden eingelassen, um für die Gelbbauchunke Lebensraum zu schaffen.

Bastelprojekt "Mopsman" (Foto: Christine Schreiber)
Bastelprojekt „Mopsman“ (Foto: Christine Schreiber)

Die Artenvielfalt auf dem Museumsgelände verändert jedoch die Museumsarbeit und stellt die Museen vor Herausforderungen hinsichtlich der unterschiedlichen, teils diametralen Schutzbedürfnisse von Mensch, Tier und Objekt: Schwalbennester beeinträchtigen den Putz historischer Gebäude, Wespen stechen den Museumsbesucher bei der Brotzeit im Museumsbiergarten und auch Fledermäuse sondern in ihren Quartieren nicht nur Ultraschall ab.

Um die Herausforderungen in diesem Spannungsfeld erfolgreich meistern zu können, ist es zunächst notwendig, die im Museum tätigen Menschen für den Wert, die Belange und den Schutz der tierischen Symbionten zu sensibilisieren. Mit geändertem Mindset der Belegschaft wird aus einem „störenden“ oder „gefährlichen“ Hornissennest hinter einer Eingangstür, welches vielleicht vormals sang- und klanglos zerstört worden wäre, mithilfe von einigen Metern Trassierband und einer temporären Beschilderung schnell ein spannender Point of Interest der Umweltbildung im Museum. Diese Sensibilisierung ist vor allem auch essentiell, wenn Tiere in den Fokus der Vermittlungsarbeit rücken und um zu verhindern, dass nicht aus „gut gemeinter“ Umweltbildung durch hohe Besucherfrequenz Stress und Schaden für die Tiere entstehen. Zudem sollten vor allem die Entscheidungsträger fundierte Kenntnisse über die fachlichen und rechtlichen Grundlagen des Natur- und Artenschutzes erwerben, da wohl in den wenigsten museumsrelevanten Studiengängen derartiges Fachwissen vermittelt wird.

Gerade im Hinblick auf Maßnahmen wie etwa die Begasung ganzer Museumsgebäude ist die koordinierte und systematische Zusammenarbeit mit den Naturschutzbehörden und deren spezialisierten Fachberatungsstellen – wie etwa den Koordinierungsstellen für Fledermausschutz – unabdingbar. Obgleich im Grundsatz „in dubio pro animale“ gelten muss, können Situationen, in denen es auch nach sorgfältiger Abwägung keinen Kompromiss zwischen den einzelnen Schutzbelangen gibt, nicht immer vermieden werden. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass holzfressende Insekten in der Bausubstanz der Museumsgebäude überhandnehmen, sondern etwa auch hinsichtlich von Rehen, welche sich während des coronabedingten Lockdowns auf dem Gelände des Freilandmuseums Oberpfalz angesiedelt haben. Leider kam es im Museumswald, der gerade von einer Fichten- und Kiefernmonokultur hin zu einem klimaresilienten Mischwald umgebaut wird, zu gravierendem Verbiss. Da der Versuch, die Tiere zu vertreiben, nicht erfolgreich war, wurde eine Bejagung notwendig.

Rauberweiherhaus, Wald und Wasserflächen: zahlreiche Biotopstandorte im Freilandmuseum Oberpfalz (Foto: Sebastian Göltl)
Rauberweiherhaus, Wald und Wasserflächen: zahlreiche Biotopstandorte im Freilandmuseum Oberpfalz (Foto: Sebastian Göltl)

Wichtig aus museologischer Sicht ist jedoch, dass nicht der Anschein erweckt wird, als ob die Museen schlicht einen Teil der historischen Kulturlandschaft in situ bewahren würden. Es muss ganz im Gegenteil für die BesucherInnen ersichtlich werden, dass es sich um eine nachempfundene, anthropogene Museumslandschaft[9] handelt, welche auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse in Annäherung an ein historisches Vorbild angelegt und mit heutigen Ressourcen und Methoden bewirtschaftet und gepflegt wird. Denn auch das Verhältnis und der Umgang mit den (Wild-)Tieren ist in dieser Museumslandschaft sind gänzlich anders als in einer Vergangenheit, in der „rustikale“ Praxen, vom Zerteilen der Maulwürfe mit dem Spaten über das beliebte Kinderspiel des Froschprellens bis hin zur Jagd auf Feldhamster alltäglich waren. Dennoch zeigt auch diese (Museums-)Kulturlandschaft sehr deutlich, dass erst die über Jahrtausende entstandenen Landschaften des Anthropozäns eine gegenwärtig im Verschwinden begriffene Artenvielfalt hervorgebracht haben, welche wir staunend im Freilandmuseum – wenn auch nur ansatzweise – noch beobachten und erleben können. Diese biodiverse Museumskulturlandschaft ist letztlich die postmoderne Interpretation der untergegangenen, kleinteiligen Kulturlandschaft des vorindustriellen Zeitalters. Und gerade deshalb stellen die tierischen und pflanzlichen Mitbewohner und ihr Habitat eine große Chance im Sinne einer unique selling proposition für die Museen dar, da die Reziprozität von Mensch, Natur und Kultur – im Sinne des erweiterten Kulturbegriffs der empirischen Kulturwissenschaft – nirgendwo so anschaulich vermittelt werden kann wie in einem „ganzheitlich“ konzipierten und betriebenen Freilandmuseum.


[1] Ballstaedt 2019, S. 70.
[2] Vgl. :  Augustin & Klotz 2010.
[3] Hierzu zählt nicht nur das öffentlich zugänglich Museumsgelände, sondern auch Wirtschafts- und Infrastrukturbereiche.
[4] Neugebauer 1985.
[5] Neugebauer 1992, S. 33.
[6] Ebd., S. 37.
[7] Auch die Verwendung des Begriffs „Freilandmuseum“ statt „Freilichtmuseum“ ist eine Referenz auf das Kulturlandschaftskonzept.
[8] Neugebauer 1992, S. 46.
[9] Vgl.: Kraus 2018, S. 80-89.

Literaturverzeichnis

Ballstaedt, Almut: Biotopkartierung am Beispiel des Freilichtmuseums Hessenpark. Neu-Anspach 2019 [= Werkstattberichte aus dem Freilichtmuseum Hessenpark; Nr. 7].

Augustin, Harmut; Klotz, Jürgen: 20 Jahre floristisch-vegetationskundliehe Dauerbeobachtung

im Oberpfälzer Freilandmuseum Neusath-Perschen. In: Hoppea, Denkschr. Regensburg. Bot. Ges. 71., Hoppe-Festschrift, Regensburg 2010, S. 219-247.

Kraus, Bettina: Die rekonstruierte Kulturlandschaft des Oberpfälzer Freilandmuseums Neusath-Perschen. In: Angerer, Birgit: Kultur Erben. Historische Kulturlandschaft & Ihre Nutzungsformen. Regensburg 2018 [Schriftenreihe des Oberpfälzer Freilandmuseums Neusath-Perschen und des Oberpfälzer Kulturbundes, Bd. 7].

Neugebauer, Manfred: Das Oberpfälzer Frei­landmuseum Neusath-Perschen Konzeption und Aufbau. Amberg 1985.

Neugebauer, Manfred: Die Gesamtkonzeption des Oberpfälzer Freilandmuseums Neusath-Perschen. In: Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (Hg.): Freilandmuseen – Kulturlandschaft – Naturschutz am Beispiel des Oberpfalzer Freilandmuseums. 1992 [=Laufener Seminarbeiträge 5/92]

Tobias Hammerl, Dr. phil., M.A., geboren 1977, leitet seit 2020 das Freilandmuseum Oberpfalz. Er studierte Volkskunde, Scottish Ethnology, Geschichte und Kunstgeschichte an den Universitäten Regensburg und Edinburgh. Von 2006 bis 2019 war er Leiter des Stadtmuseums Abensberg. Er nahm in der Vergangenheit Lehraufträge an der Universität Passau wahr und war Gastdozent an der Universität Würzburg. Derzeit ist er Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Spiel-, Bild- und Sachkulturforschung sowie museologische Themen.

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