Opas Ofen erzählt…
Können Dinge sprechen?
Wenn in der Überschrift dieses Beitrags von einem erzählenden Ofen die Rede ist, stellt sich die Frage, ob Dinge denn sprechen können. Eine klare Antwort darauf gibt es nicht. So besitzen Gegenstände einerseits an sich eine gewisse Aussagekraft. Ihr Äußeres lässt Rückschlüsse auf ihre Machart und Herstellung zu. Sie bestehen aus einem bestimmten Material, haben eine spezifische Form und tragen Spuren, wodurch sie Hinweise auf beispielsweise ihr Alter und ihre Verwendung geben.[1] Andererseits bleiben viele Informationen im Dunkeln, solange weitere Quellen – wie etwa Berichte von Objektbesitzern – außen vor gelassen werden.[2] Das gilt insbesondere dann, wenn die Bedeutung der Dinge und die mit ihnen verknüpften Erinnerungen erschlossen werden sollen.[3] Am Beispiel eines selbstgebauten Ofens wird im Folgenden erläutert, was uns dieser Gegenstand und aber auch seine Besitzerin erzählen.
Hand.gemacht on the road
Es ist Ende Februar und die Sonne strahlt vom blauen Himmel, als wir uns auf den Weg machen – auf den Weg zu unserer ersten vollumfänglichen Datenerhebung im Rahmen des Projekts hand.gemacht. Die Mission: einen selbstgebauten Ofen mit unserem 3D-Scanner scannen und so viel wie möglich über das Objekt in Erfahrung bringen. Wir folgen der Wegbeschreibung, die wir vorab erhalten haben, und durchschreiten einen Torbogen, um zum Eingang des auf der Luitpoldhöhe in Amberg[4] gelegenen Reihenmittelhauses zu gelangen.
Vor der Haustür des für heutige Verhältnisse eher klein wirkenden Gebäudes wartet bereits Tanja G., die Besitzerin des Ofens. Sie führt uns ins Obergeschoss des Hauses – und da ist er: der Ofen! Kaum haben wir den Raum betreten, beginnt Tanja G. zu erzählen…
Von Neusath aus ging es nach Amberg (Grafik: Julian Moder/ Michaela Stauber).
Ein Ofen von Opa
Es muss während des Zweiten Weltkriegs oder kurz danach gewesen sein, als Josef Windisch, der Großvater von Tanja G., den Ofen angefertigt hat. Der genaue Zeitpunkt der Herstellung ist jedoch nicht bekannt und die zeitlichen Angaben beruhen auf dem, was Tanja G. von ihren Vorfahren erfahren hat. Josef Windisch „war Waffenmeister bei der Wehrmacht […]. Vor dem Krieg hat er Schlosser gelernt und […] Metall war so sein Ding.“[5] Er „war Schlosser durch und durch“. Diese Charakterisierung lässt darauf schließen, dass der Urheber des Objekts Freude am Selbermachen hatte, wobei dies nicht die einzige Motivation für die Herstellung des Objekts gewesen sein muss. So war und ist es in Kriegs- und Krisenzeiten gängige Praxis, zu improvisieren und Dinge selbst herzustellen, weil es in diesen Zeiten des Mangels Vieles schlichtweg nicht zu kaufen gab bzw. gibt.[6] Welche Vorbilder und Inspirationen beim Ofenbau eine Rolle spielen, lässt sich heute nicht mehr eindeutig klären.
„Nichts von der Stange“ – Spuren am Ofen sprechen
Während wir die Gründe für die Anfertigung des Ofens nicht direkt am Objekt ablesen können, lässt seine Gestalt jedoch Rückschlüsse auf die Art und Weise seiner Herstellung zu: „Da sieht man die Schweißnähte und das ist auch so ein T-Stück und so. Also er ist schon selber gebaut. Also ist nichts von der Stange.“ Mit dieser Aussage unterstreicht Tanja G. zugleich, dass es sich um ein Unikat handelt. Die Machart des Ofens ist für seine Besitzerin auch Ausdruck des Charakters ihres Großvaters: „Und mein Opa, der war ein sehr, sehr, sehr akribischer Mensch, deswegen schaut der [Ofen] auch eigentlich aus wie […] gekauft. Aber der hat wirklich alles ganz akribisch gebaut, gemacht, also ein ganz Akkurater war das.“
Eine Animation des gescannten Ofens (Video: Julian Moder).
Der Ofen in Gebrauch
Was die Benutzung des Ofens angeht, so deuten die Rußspuren darauf hin, dass er tatsächlich in Gebrauch war. Um zu erfahren, wo er eingesetzt worden ist, bedarf es allerdings zusätzlicher Informationen. In den 1950er-Jahren fand der Ofen als Wärmequelle Verwendung – in einem räumlich beengten Reihenhaus, das 1920 für Bergleute errichtet worden war. Er hat „hier im Haus mindestens einen Raum geheizt“, wie sich die 1952 geborene Mutter von Tanja G. erinnern kann. Der Ofen erfüllte eine Gebrauchsfunktion und stillte das menschliche Grundbedürfnis nach Wärme.
Ab auf den Dachboden!
Wohl Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre wurde der Ofen auf den Dachboden des Hauses verbannt. Zu dieser Zeit wurde das Wohngebäude umgebaut und ein Ölofen installiert. Den selbstgebauten Ofen „hat […] dann keiner mehr gebraucht, aber […] weggeworfen hat man eigentlich nichts früher“, so die Enkelin von Josef Windisch. Ihr Großvater habe „wirklich vom kleinsten Brettl alles aufgehoben.“ Rostige Nägel wurden wieder gerade geklopft. „Das war die Kriegsgeneration, da ist nichts weggeworfen worden.“ Tatsächlich prägten die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeiten viele Menschen und beeinflussten ihr Verhalten oft ein Leben lang. Das ist auch am sparsamen Umgang mit Lebensmitteln zu erkennen.[7]
Ein Erinnerungsstück
Auf dem Dachboden blieb das Objekt gut sechs Jahrzehnte lang. Warum? Zunächst, weil es den Nachkommen von Josef Windisch „eigentlich ganz gut gefallen“ habe, „so von der Aufmachung her“. Es wurde (und wird) als ästhetisch ansprechend empfunden. Des Weiteren sei der Gegenstand „wahnsinnig schwer, schwer zu transportieren auch.“ Praktische Gründe standen demnach einer Bewegung des Objekts im Wege. Nicht zuletzt aber ist der Ofen „ein Erinnerungsstück vom Opa […]. Deswegen wollten wir ihn nicht hergeben.“ Über den Gegenstand wird die Verbindung zu einer verstorbenen Person hergestellt und aufrechterhalten, wie hier deutlich wird.[8] Er besitzt einen hohen emotionalen Wert.[9] Aus dem weiteren Gespräch geht hervor, dass eine enge Beziehung zu den Großeltern bestand. „Ich bin ja hier auch quasi aufgewachsen bei meinen Großeltern, war da ganz viel als Kind“, berichtet die Objektbesitzerin. Allgemein wird im Laufe des Besuchs viel über den Großvater und seine Biografie gesprochen, was unterstreicht, dass für die Objektbesitzerin ein enger Zusammenhang zwischen dieser Person und dem Objekt besteht. Beim Sprechen über den Ofen wird zugleich an den Großvater gedacht. Der Gegenstand ist ein Stück Familiengeschichte.
Ein Objekt mit Lokalbezug
Nicht zuletzt verweist die Geschichte des Ofens auf den Ort, an dem er sich befindet. Er gibt Aufschlüsse über die Wohnsituation und darüber, welche Wärmequellen in den 1950er-Jahren in dem Reihenhaus genutzt wurden. Für die nach heutigen Maßstäben kleinen Räume spendete der kleine selbstgebaute Ofen genug Wärme. Auch was das Heizmaterial angeht, existiert ein lokaler Bezug. Der Ofen ist mit „Koks und Kohle […] geheizt worden, damit sich die Hitze länger hält“. Die Kohle bezog man von der Kokerei, die zur in der Nähe des Wohnhauses gelegenen Luitpoldhütte gehört hatte. Denkbar ist ferner, dass das Material, das für den Ofen verbaut worden ist, von der Luitpoldhütte stammte. Dort war Josef Windisch Schlosser.
Können Dinge sprechen?
Welche Erkenntnis steht nun am Ende dieser Betrachtung? Der Ofen hat mehr zu sagen, als man im ersten Moment meinen könnte. Vieles können wir mit bloßem Auge nicht sehen, doch mit ein wenig Nachhilfe bringen wir Licht ins Dunkel und hauchen dem Objekt Leben ein. Wir lassen es sprechen.
[1] Vgl. König, Gudrun M.: Dinge zeigen, in: Dies. (Hg.): Alltagsdinge. Erkundungen der materiellen Kultur, Tübingen 2005, S. 9-28, hier: S. 18.
[2] Vgl. Mohrmann, Ruth-Elisabeth: Können Dinge sprechen? In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 56 (2011), S. 9-24, hier: S. 11.
[3] Vgl. ebd., S. 17.
[4] Die Luitpoldhöhe ist ein Stadtteil von Amberg, der als Siedlung für die Arbeiter des nahegelegenen Stahlwerks Luitpoldhütte entstand (vgl. https://amberg.de/luitpoldhoehe).
[5] Dieses und alle weiteren direkten Zitate aus: Interview mit Tanja G., Amberg, 28.02.2023.
[6] Vgl. Kreis, Reinhild: Selbermachen. Eine andere Geschichte des Konsumzeitalters, Frankfurt a. M. 2020, S. 274.
[7] Vgl. ebd., S. 294f.
[8] Das erinnert an die Semiophorentheorie von Krzysztof Pomian, laut der Dinge eine Verbindung zwischen der (sichtbaren) Gegenwart und der (unsichtbaren) Vergangenheit herstellen. Vgl. dazu Thiemeyer, Thomas: Die Sprache der Dinge. Museumsobjekte zwischen Zeichen und Erscheinung, in: Stieglitz, Leo von/Brückner, Uwe (Hg.): Hin und Her. Dialoge in Museen zur Alltagskultur. Aktuelle Positionen zur Besucherpartizipation, Bielefeld 2015, S. 41-53, hier: S. 45.
[9] Vgl. auch Hofmann, Nina: Dinge und Erinnerungen. Sybilles Jugendzimmer im Museum der Alltagskultur – ein Werkstattbericht, in: Stieglitz, Leo von/Brückner, Uwe (Hg.): Hin und Her. Dialoge in Museen zur Alltagskultur. Aktuelle Positionen zur Besucherpartizipation, Bielefeld 2015, S. 55-64, hier: S. 60f.
Literaturverzeichnis
Hofmann, Nina: Dinge und Erinnerungen. Sybilles Jugendzimmer im Museum der Alltagskultur – ein Werkstatt-bericht, in: Stieglitz, Leo von/Brückner, Uwe (Hg.): Hin und Her. Dialoge in Museen zur Alltagskultur. Aktuelle Positionen zur Besucherpartizipation, Bielefeld 2015, S. 55-64.
König, Gudrun M.: Dinge zeigen, in: Dies. (Hg.): Alltagsdinge. Erkundungen der materiellen Kultur, Tübingen 2005, S. 9-28.
Kreis, Reinhild: Selbermachen. Eine andere Geschichte des Konsumzeitalters, Frankfurt a. M. 2020.
Mohrmann, Ruth-Elisabeth: Können Dinge sprechen? In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 56 (2011), S. 9-24.
Thiemeyer, Thomas: Die Sprache der Dinge. Museumsobjekte zwischen Zeichen und Erscheinung, in: Stieglitz, Leo von/Brückner, Uwe (Hg.): Hin und Her. Dialoge in Museen zur Alltagskultur. Aktuelle Positionen zur Besucherpartizipation, Bielefeld 2015, S. 41-53.